Bitte vier Habsburger zum Mitnehmen“, sagt Julia Kospach und bestellt noch eine Schaumrolle dazu. Nach 15 Jahren in Bad Ischl weiß die Kärntnerin, wo welche Süßspeise am besten schmeckt. Dass alles irgendwie kaiserlich königlich klingt, daran hat sie sich gewöhnt. „Man wird schon bombardiert damit, aber in meinem Alltag spielt es überhaupt keine Rolle“, erzählt die Journalistin und Autorin, deren jüngstes Werk kommende Woche vorgestellt wird: das offizielle Buch zum Kulturhauptstadtjahr.

Beim Rundgang durch die Stadt macht es ihr sichtlich Spaß, auf die allgegenwärtigen Doppeladler hinzuweisen. Mit Glühbirnen besetzt, hängen sie von den Brücken und über den Straßen. Die Apotheke wirbt damit, die Straßennamen erinnern an das Herrscherhaus, die Künstlerin Jackie Sams verkauft den Kaiser als Hampelmann, und sogar der CBD-Laden nennt sich „Hanfkaiser“.

„Es war sehr schön, es hat uns sehr gefreut.“

Wir beginnen den Rundgang im unscheinbaren Café Elisabeth, das man als Uneingeweihter übersehen hätte. Bilder des Kaiserpaares zieren die lichte Veranda mit klassizistischer Deckenmalerei. Der Blick geht auf die Lehàrvilla jenseits der Traun, auf die Esplanade und auf das winterlich umhüllte Denkmal der Eltern Franz Josephs. Über dem Ausgang steht des Kaisers Standardgruß „Es war sehr schön, es hat uns sehr gefreut.“

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Erst in den 80er-Jahren habe der Salzkammergut-Tourismus das verschlafene Städtchen entdeckt und ein „Narrativ“ dafür gesucht, sagt Kospach. „Wir setzen uns aufs Kaiserhaus drauf“, habe man damals beschlossen. Die Strategie sei „mörderisch aufgegangen“, erzählt sie, die anderer Qualitäten wegen 2008 hergezogen ist. „Mir liegt die Region nahe, weil sie wie Kärnten aus Seen und Bergen gemacht ist.“ Es fiele ihr schwer, sich dauerhaft in Landschaften aufzuhalten, denen diese zwei „Features“ fehlen.

Vom „Elisabeth“ führt Kospach den Gast zur Esplanade, der Uferpromenade mit dem legendären Café Zauner. Auf dem Weg dorthin liegt das städtische Museum, das natürlich auch ein Doppeladler ziert. „Die Sammlung hat bis vor Kurzem im Jahr 1918 geendet“, erinnert sie sich. Dass Bad Ischl „Bannerstadt“ unter den 23 Gemeinden ist, die gemeinsam als Kulturhauptstadt 2024 firmieren, gab den Anstoß zur Erneuerung. Nun könnte daraus ein modernes Regionalmuseum entstehen.

Auch andere Projekte stehen in direktem Zusammenhang mit dem Kulturhauptstadtjahr. Die Renovierung der Villa des Operettenkomponisten Franz Lehár, die Sanierung des „Sudhauses“, wo in den kommenden Monaten internationale Künstler Werke aus Holz und Salz zeigen werde, und die Erneuerung des Lehár-Theaters. Nicht alles wird 2024 fertig sein, aber das sei auch nicht der Zweck, stellt Kospach falsche Erwartungen richtig. Das Kulturhauptstadtjahr gab den Anstoß zur Renovierung, damit habe es den Zweck erfüllt.

Glöckler unterwegs

Im winterlich verlassenen Gastgarten des Café Zauner streifen ein paar weiß gekleidete Jugendliche herum. Bald werden sie ihre riesigen, mit Kerzen von innen beleuchteten Kappen aufsetzen und schwere Glocken um die Lenden schnallen. Es ist die letzte der vier Raunächte, da bringen die „Glöckler“ Glückwünsche für das neue Jahr in die Dörfer. Zuerst aber ziehen sie durch das übervolle Bad Ischl.

Der Brauch stammt aus dem 19. Jahrhundert und lebt wie damals. „Nachwuchssorgen haben die keine“, sagt Kospach. „Ich kenne kein feierfreudigeres Völkchen als die Ischlerinnen und Ischler.“ Amüsiert listet sie Anlässe auf: den Liachtbratlmontag, das Streetfoodfest, den Pfeifertag, das Weinfest, Bälle ohne Zahl, und im Sommer wird eine Woche lang der Geburtstag des verblichenen Kaisers gefeiert. „Der Zugang zu Brauchtum und Tradition ist hier so unverkrampft und unpolitisch, wie ich es aus Kärnten nicht kenne“, sagt Kospach. Sie empfinde das als angenehm; „Vielleicht auch, weil es nicht meines ist“.

Kospach erklärt sich den Unterschied auch aus der Geographie. „Hier sitzt man wie die Made im Speck im Herzen eines ehemaligen Großreiches.“ Im Grenzland Kärnten, das ähnlich viel auf Brauchtum hält wie das Salzkammergut, diene Traditionspflege stärker zur Abgrenzung, erinnert sie sich.  

Nach dem Abstecher zur Kaiservilla hoch über Ischl lädt Kospach ins Café Ramsauer. Von der „guten alten, zernepften Art“ sei das Etablissement, nicht von der Variante „pimp my Kaffeehaus“ wie das Café Museum in Wien, charakterisiert sie den von Fotos berühmter Männer gesäumten Raum.

Die „Glöckler“ hört man schon von weit. In zügigen Schritten eilen sie über die Brücke ins Zentrum. Umdrängt von Einheimischen, drehen sie sich ein paarmal im Kreis, knien nieder zum Neujahrswunsch, strecken ihren Klingelbeutel aus und bahnen sich eine Gasse durch die Menge: „Macht‘s Platz für den Kometen.“

Der „Glöcklerlauf“ steht unter der Rubrik „Brauchtum“ auch im Programm des Kulturhauptstadtjahrs - ganz organisch neben neuester Kunst. Ein Zeichen für den Frieden, den die Region mit dem kulturellen Überfall gemacht hat. „Mein Eindruck ist, dass die Skepsis endgültig der Neugier gewichen ist“, sagt Kospach, die sich auf die turbulenten Monate in ihrer beschaulichen Wahlheimat schon freut. „Wir haben es wirklich gut erwischt.“