"Nur noch eine Kehre“, verspricht Miroslava. Wir haben aufgehört zu zählen, bei wie vielen Serpentinen, die der antike Güterweg in die Bergflanke schneidet, die Touristikerin uns das schon angekündigt hat, während wir ein Plateau im Naturreservat Zádielska tiesnava erklimmen. Aber irgendwann spüren wir tatsächlich, wie das nachlassende Brennen in den Oberschenkeln davon kündet, dass es flacher wird.
Plötzlich endet der Weg, 300 Meter geht es in die Tiefe, eine Schlucht schlängelt sich durch den weißen Kalkstein im slowakischen Karst, der uns in all seiner Schönheit zu Füßen liegt. „Die Klamm ist an manchen Stellen so eng, dass kaum eine Straße zwischen die Felsen passt“, erzählt Miroslava. „Aber es sind nur ein paar Kehren. Versprochen.“ Nein, Miroslava, wir sind für heute genug gewandert.
Denn immerhin gilt es, eine Stadt zu entdecken. In Kosice führen alle Wege zum Dom der heiligen Elisabeth. Die größte Kirche der Slowakei thront in der Mitte der längsten Promenade des Landes, umringt von einer Altstadt, die einem Schmuckkästchen gleicht. Aber keinem verstaubten Museum, denn in den Gassen wurlt es nur so und das Nachtleben erreicht südländische Verhältnisse. Kosices Kulturhauptstadtjahr 2013 hat Impulse für eine junge Szene gesetzt.
Und zwar nachhaltig im doppelten Wortsinn: Alte Kasernen, ein Schwimmbad, eine ausrangierte Wärmeübergabestation und eine ehemalige Tabakfabrik wurden zu kleinen und großen Kulturzentren umgebaut, die von Kreativen bespielt werden und so gar nicht im Widerspruch zu den historischen Fassaden des Stadtkerns stehen. Und so ist die zweitgrößte Stadt der Slowakei ein Ort, an den man nach Ausflügen ins Umland immer wieder mit Freude zurückkehrt.
Apropos Ausflüge: Wir haben den Styx überquert. Die Unterwelt hier hat es in sich: Alleine sechs Höhlen in der Umgebung von Kosice zählen zum Welterbe der Unesco. Aber nur durch die Domica-Höhle schlängelt sich ein unterirdischer Fluss, den man mit einem Elektroboot überquert. Die Ruhe wissen die 16 Arten von Fledermäusen zu schätzen, die die Dome von Baumeisterin Mutter Natur bevölkern und mit ihrem Sonar geisterhaft im Dunkeln Slalom durch die Tropfsteine fliegen.
Die Geister der Adelsfamilie Andrássy - bei uns ein Begriff wegen Graf Gyulas angeblich amourösem Nahverhältnis zu Sisi - wohnen noch immer im Schloss Betliar. Zumindest in Form von Hunderten Porträts, deren Augen einen zu verfolgen scheinen, wenn man durch die Räume schlendert, etwa um die Bibliothek mit ihren rund 20.000 Bänden oder die exotischen Reisesouvenirs zu bestaunen. Ausgestopfte Krokodile, konservierter Elefantenkopf und menschliche Mumie inklusive.
Beim Sonnenuntergang über der Kleinkarpatischen Weinstraße wird es philosophisch. „Ich kenne jedes Produkt, das in meiner Küche verarbeitet wird, in- und auswendig“, verspricht Loránt, Chefkoch und Winzer des Gránariums bei Jablonov. „Es stammt ja aus meinen oder den Gärten meiner Nachbarn.“ Und alleine wegen der Lokse - Erdäpfelfladen -, die eine alte Frau kunstvoll im Küchenkittel über offenem Feuer in einer riesigen Pfanne zubereitet, glauben wir das auf den ersten Biss.