Fahrradfahrer düsen die Promenade entlang, Kinder planschen in dem Wasserbecken auf der Place de la Bourse und die Kellner der Cafés in der Innenstadt tänzeln zwischen den Tischen hin und her. Ganz Bordeaux scheint beschäftigt zu sein. Aber so wirklich will man das nicht glauben: Schließlich baden in den Wiesen nahe der Promenade Jugendliche faul in der Sonne, schlendern Pärchen entspannt durch die Fußgängerzone Rue Sainte-Catherine und an den Tischen der Cafés genießen die Gäste ihr Glas Rotwein in Seelenruhe. In ihrer Art ähneln die Bordelaiser dem Fluss Garonne, der seine Bahn in der Form einer Sichel durch ihre Stadt zieht. Durch die Nähe zum Atlantik herrschen in Bordeaux die Gezeiten stärker als anderswo: Bei Flut strudelt das Flusswasser unruhig, bei Ebbe entspannt es sich wieder; ganz so wie die Bodelaiser selbst zwischen Eile und Entspannung schwanken.
Die Sichelform der Garonne hat zu Bordeaux’ Spitznamen „Hafen des Mondes“ geführt. Doch noch viel wichtiger: Der Fluss hat der Welt das bekannteste Gut der Region Aquitanien gebracht; den Wein. Heutzutage kann man vom Hafen aus zu kulinarischen Kreuzfahrten aufbrechen: Manche Schiffe legen in Weinbaugebieten an.
Der Weinhandel hat Bordeaux schon früh den Reichtum beschert, der bis heute sichtbar ist: Das imposante Grand Théâtre erhebt sich zu Beginn der Fußgängerzone, im Stadtinneren findet sich die bei den Pilgern des Jakobswegs bekannte Kathedrale Saint-André und die Brücke Pont de Pierre, führt in 17 Bögen über die Garonne.
Wer von Bordeaux nach Osten fährt, sieht bald ein grünes Meer: Auf 7846 Hektar reiht sich im Gebiet Saint-Émilion Weinfeld an Weinfeld. „Dieser Ort ist einzigartig. Deshalb bin ich hierher zurückgekehrt“, sagt Guillaume Carjuzza. Der junge Franzose lebte schon auf Tahiti und in Paris. Doch nun ist er wieder in Saint-Émilion, wo einst sein Großvater Wein gekeltert hat: „Ich möchte den Menschen aus aller Welt zeigen, wie schön es hier ist“, sagt Carjuzza, der für das örtliche Tourismusbüro arbeitet.
Gläserner Lift
Vorbei an endlosen Reihen von Weinreben und prächtigen Châteaus geht es in die Gemeinde Saint-Émilion: ein kleines Dorf, das sich unter einem großen gotischen Glockenturm duckt. Wer hier durch die Gassen streift, vorbei an Häusern und Kirchen aus Kalkstein, glaubt, geradewegs ins Mittelalter spaziert zu sein. „Einzigartig“, sagt Carjuzza und nickt zufrieden. Doch bloß zwei Stunden weiter, kratzt die Gemeinde Sarlat-la-Canéda an Saint-Émilions einzigartigem Ruf. 65 historisch bedeutende Gebäude gibt es hier. Wie die im Ortszentrum thronende Kathedrale Saint-Sacerdos stammen viele aus dem Mittelalter. Einige sind auch im Stil der beginnenden Renaissance erbaut worden. Wer sich einen Überblick verschaffen will, kann mit einem gläsernen Lift auf das Dach der einstigen Kirche Sainte-Marie fahren.
Samstagfrüh sieht man von dort, wie der Ort aus seinem musealen Schlaf erwacht. Trüffel, Walnüsse, Kuchen und die umstrittene wie schmackhafte Gänsestopfleber werden dann am Markt verkauft. Die Menschen wuseln oder schlendern von Stand zu Stand: Eilig und entspannt, genauso, wie es in der Gegend um Bordeaux sein soll.
THOMAS MACHER