Faszinierende Wolkenformationen mit unterschiedlichen Weißschattierungen türmen sich rund um das Timmelsjoch auf. „Bei den Italienern gibt es heute wieder Spaghetti, da geht der Kochtopf über“, sagt Hugo Reindl mit Verweis auf dieses Schauspiel entlang der Bergkette im Süden. Der trockene Humor des 44-jährigen Bergführers macht hier oben noch viel mehr Spaß. Auf der herrlichen Sonnenterrasse der Hildesheimer Hütte in 2900 Meter Höhe in den Stubaier Alpen fällt der Blick auch auf deren höchsten Berg, das anmutig, respekteinflößend wirkende Zuckerhütl (3507 Meter).
Seit 20 Jahren hat Gustl Fiegl hier schon als Hüttenwirt das Sagen und immer einen guten Spruch auf den Lippen. Was ihm am meisten gefällt? „Die Leute anschmettern“, erklärt er grinsend. 15 Stunden am Tag ist er auf den Beinen. „Ich habe einfach ein Herz für diese Hütte, sie ist eine der schönsten in dieser Gegend.“
Ausdauer auf über 3000 Meter Höhe
Hugo Reindl und seine Gäste sind auf der „stillen Seite Söldens“ unterwegs, wie sie genannt wird. Nicht jeder Fleck ist mit einem Lift erschlossen, stattdessen gibt es einsame Hütten und abwechslungsreiche Wanderrouten. Das Windachtal, das in Sölden seinen Ausgang nimmt, zieht sich kilometerweit über weiche Almböden entlang der Wildache, später folgen Steinschlichtungen und von Felsen gerahmte steile Wegpassagen. Viele Wege wurden in den letzten Jahren hergerichtet und neu beschriftet, um das hochalpine Hütten-Hopping zu promoten.
Ausdauer, Trittsicherheit und möglichst auch Schwindelfreiheit sind gefragt. Wenig geübte Wanderer geraten an ihre konditionelle Grenze. Hugos Schritt ist langsam, ja fast meditativ. „Es dauert seine Zeit, bis man das Langsamgehen lernt“, sagt Reindl. Wer es zu schnell angeht, der „verbrennt“, irgendwann ist die Kraft weg. „Das ist kein Wettkampf.“ Früher hatte er es eiliger, als erfolgreicher Bergläufer war er oft im Laufschritt unterwegs. Jetzt hat er „einen der schönsten Berufe, die man haben kann. Aber er ist nicht ganz ungefährlich.“ Die Verantwortung und der psychische Druck seien nicht zu unterschätzen, viele Bergführer ließen es nach einigen Jahren wieder bleiben, erzählt Reindl.
Der Aufstieg über die "Himmelsleiter"
Vorbei am glänzenden Seekarsee, wo traditionelle Schafrassen grasen, geht es begleitet vom Pfeifen der Murmeltiere weiter. Und dann die fast senkrechte „Himmelsleiter“, die mit einem Stahlseil in der Felswand gesichert ist. An deren Ende zeigt sich die Hochstubaihütte, die in 3173 Meter Seehöhe auf der Wildkarspitze thront und einst für militärische Zwecke genutzt wurde. Ein ungemütlich kalter Wind bläst um die Alpenvereinshütte, vom Dach hängen Eiszapfen, selbst die Wasserleitung ist eingefroren.
Hüttenwirt Thomas Grollmus hält hier von Mitte Juni bis Mitte September die Stellung: „Für mich ist das der schönste Arbeitsplatz der Welt. Man ist sein eigener Herr.“ Mit dem Hubschrauber lässt er zu Beginn der Saison das Notwendigste hinauftransportieren. Einmal pro Woche marschiert er für Brot und Salat ins Tal.
Bei den Wanderern hinterlässt die dünne Luft Spuren. Ein leichter Druck im Kopf und kollektive Müdigkeit lassen es abends in der Hütte schnell leise werden. Dafür sind viele um 5 Uhr Früh schon wieder hellwach. Bald danach lassen die Farbenspiele der Morgensonne Gedanken an den Muskelkater aber wieder vergessen.
WOLFGANG FERCHER