Mit der Einzigartigkeit ist es ja so eine Sache. Vor allem wenn sie, eingepackt in möglichst viele Superlative, in Tourismusprospekten angepriesen wird. Man glaubt nur bedingt, bleibt seltsam unbeeindruckt, weil man es irgendwoher zu kennen scheint: das Anpreisen des höchsten Bergs, der wildesten Klamm, des schönsten Bergsees.
Alles schon einmal gehört, vielleicht sogar gesehen? – Ist im konkreten Fall aber völlig egal: Bei Ramsau gilt der „Doppelt hält besser“-Grundsatz, wobei die Dichte an Deckungsgleichheit fast schon erschreckend ist.
Starten wir beim Unübersehbaren: der Bergkulisse. Im bayrischen Ramsau, einem 1800-Einwohner-Dorf, das sich im autobahnbekannten „Deutschen Eck“ bei Berchtesgaden versteckt, ist es der Watzmann. Groß und mächtig. Mit 2713 Metern ist er das höchste rein auf deutschem Boden stehenden Gebirgsmassiv.
Da kann das steirische Ramsau aber locker mithalten: Der Dachstein, der sich gleich hinter dem 2700-Einwohner-Ort aufbaut, ist mit 2996 Metern immerhin der höchste Berg der Steiermark. Superlative verbinden – auch was die naheliegende Bergsteigertradition in beiden Orten betrifft.
Im steirischen Ramsau gelten die Steiner-Brüder Franz und Irg als „Local Heros“, weil diese vor etwas mehr als hundert Jahren als Erste die Dachstein-Südwand durchstiegen. Im bayrischen Ramsau gibt es gleich zwei Möglichkeiten der Heldenverehrung: Zum einen Johann Grill, der als Erster die in bergsteigerkreisen als „Todeswand“ verrufene Watzmannostwand hinaufkraxelte; zum anderen Hermann Buhl, der legendäre Erstbesteiger des Nanga Parbat im Himalaya. Der gebürtige Tiroler fand in Ramsau – dem deutschen – Ehefrau und Ruhe zwischen seinen Expeditionen.
Aber auch als „normaler“ Bergfreund kommt man beiderorts auf seine Rechnung. Da der Blaueisgletscher, dort der Dachsteingletscher. Und in beiden Fällen gut markierte Klettersteige oder gemütliche Wanderwege, die sich wie ein dichtes Netz rund um die jeweils ortsbildprägende Pfarrkirche spannen.
Man muss nur einmal hinkommen. Was mit dem Auto in beiden Fällen über kurvige Landstraßen führt, mit dem Zug in beiden Fällen – nun ja. Auch die diesbezügliche Nicht-Erreichbarkeit eint die beiden Ramsaus. In der Steiermark ist am Bahnhof in Schladming Endstation, im bayrischen Zwillingsort in Berchtesgaden. In beiden Fällen geht es per Bus weiter ins jeweilige Ramsau. Wo sich die Gleichheiten fugenlos fortsetzen.
Beispiel Autorennen: Sowohl die Serpentinen hinauf auf das Roßfeld in Berchtesgaden als auch diverse bei der Ennstal-Trophy befahrenen Spitzkehren rund ums steirische Ramsau gehören zu den Klassikern der Oldtimerszene.
Beispiel Schafe: Sowohl in der Steiermark als auch in Bayern werden Ramsau-nahe Berghänge von Schafen abgegrast. Am steirischen Hauser Kaibling auf der anderen Seite des Ennstals sind es Almlämmer, die im Sommer die im Winter als Skipisten genützten Abhänge rasieren. Fast in Sichtweite zum bayrischen Ort Ramsau sind es Vertreter des alten, 1960 fast vom Aussterben bedrohten alpinen Steinschafs, die die Almen am Fuße des Watzmanns abgrasen.
Beispiel Bergsee und Wildbach in der Umgebung: Königsee und Wimbachklamm sind „Wow!“. Duisitzkarsee und Wilde Wasser-Schlucht in Rohrmoos detto.
Nur in einem ist das deutsche Ramsau seinem österreichischen Pendant voraus: Seit vergangenem Herbst darf man sich offiziell „Bergsteigerdorf“ nennen, was unter anderem eine besonders naturnahe touristische Nutzung voraussetzt. Klingt nach Tourismusprospekt? Ja, ein Besuch lohnt sich aber. Im einen wie im anderen Ramsau.
Klaus Höfler