Die Piste frei, die Schneeverhältnisse perfekt, die Sonne hoch am Himmel. Eines kann man aber getrost vergessen: Zu glauben, mehr als eineinhalb Carvingschwünge im Windschatten von Florian Eisath mithalten zu können. Die Vita des in Kürze 37-Jährigen liefert dafür ausreichend Gründe. Eisath ist hier aufgewachsen und heute Chef des örtlichen Skigebiets, kennt also jeden Quadratzentimeter und die Schnee-Eigenschaften bis ins kleinste Detail. Aber vor allem: Eisath ist bis vor drei Jahren im Riesenslalom-Weltcup noch um Top-10-Platzierungen mitgefahren.
Tröstend: Vor Gott, in einem Verkehrsstau, beim Zahnarzt und auf einem Skilift sind alle Menschen gleich. Da sitzt man dann Ski an Ski und schaukelt – tempomäßig synchronisiert – nach oben und lässt sich vom Hausherren die dramatische Felswand erklären, auf die man zufährt. Es ist eine kolossale Kulisse. Der „Rosengarten“, knapp dreißig Autominuten von Südtirols Hauptstadt Bozen entfernt, wirkt wie ein Schutzwall für das sich an seine Westhänge schmiegende Skigebiet Carezza. Bis knapp an die 3000-Meter-Marke reichen die schroffen Gipfel des Gebirgsstocks.
Es ist, im wahrsten Sinne des Wortes, ein sagenhaftes Gestein. In dessen Inneren sollen sich einst die Kristallpaläste von König Laurin befunden haben, an den Bergflanken sein verzaubernder Rosengarten. Die Namen sind geblieben. Jener für das Bergmassiv und jener des Sagenhelden für die neue König-Laurin-Seilbahn, die seit Sommer in Betrieb ist.
Festgehalten hat man auch an der Mythologie, wenngleich man sie in die Sprache der Architektur übersetzt hat. So wurde die Bergstation gleich neben der wie ein Adlerhorst am Berg klebenden Kölner Hütte ins Innere des Bergs verlegt. Von außen sind nur die Einfahrtsluke und die Ausgänge für die Fahrgäste zu erkennen.
Keine sichtbaren Spuren hinterlassen – das ist nicht nur baulich, sondern in gesamtökologischer Sicht Ziel des Skigebiets in den Dolomiten. Als erstes Resort in Italien ist man 2019 dem Klimaneutralitätsbündnis beigetreten. Das ehrgeizige Ziel: bis 2022 klimaneutral zu sein.
Gelingen soll das über eine ganzheitliche Herangehensweise. „Wir reduzieren und analysieren nicht nur, wir kompensieren auch“, sagt Eisath. Man müsse den Leuten aber die Chance geben, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, „damit es zu keiner Abwanderung kommt“.
Die Ansätze sind entsprechend vielfältig: kein Plastik auf den Skihütten, ein Maximum an Mülltrennung, regionale Lieferanten für die Gastronomie, eine Pistenbewirtschaftung im Energiesparmodus. So konnten über eine Wegeoptimierung der via GPS geleiteten Pistenraupen beim Präparieren 30 Prozent Treibstoff eingespart, durch verbesserte Pumpleistungen der Stromverbrauch für die Beschneiung bereits um 25 Prozent reduziert werden.
Die Beschneiung ist Herzensprojekt des Skigebiets. Das hat familiäre Gründe. Florians Vater Georg Eisath hat Technoalpin mitgegründet. Das Unternehmen ist zum Weltmarktführer in Sachen Beschneiungstechnologie gewachsen. In Eisaths eigenem Skigebiet schafft man bei optimaler Außentemperatur (ab minus sieben Grad), binnen 80 Stunden eine Grundbeschneiung für die 40 Kilometer Piste, die bis März hält.
Dabei kommen insgesamt 300 Geräte zur Schnee-Erzeugung zum Einsatz, wobei es eine genaue Orchestrierung der einzelnen Instrumente braucht. Denn Schneekanonen haben zwar den Vorteil, große Flächen beschneien zu können, aber den Nachteil, viel Energie zu benötigen. Schneelanzen wiederum sind wesentlich energiesparender, aber auch windanfälliger, wodurch der Schnee aus den Düsen über die eigentliche Piste hinaus verblasen werden kann. Geht kein Wind, bildet der Schnee wiederum unter der Lanze einen Haufen – und für Verschubarbeiten ist erneut Energie vonnöten.
Was also wo, wann und wie tun? Über derartige Fragestellungen, den notwendigen Stromverbrauch in der Größenordnung von eintausend Haushalten, Speichersee-Drucktechnik und Schneedichte können die Eisaths abendfüllend sprechen.
Das Ergebnis sollen jedenfalls perfekte Pistenverhältnisse sein. „So wie wir heute gerne fahren, geht das nur mit Kompaktschnee“, stellt Eisath senior klar. Dafür wird gezielt produziert und komprimiert. Die Schneedecke wiegt am Ende pro Quadratmeter das Vierfache von Naturschnee.
Oberste Prämisse bleibt eine naturschonende Bewirtschaftung. Alte Schlepplifte wurden zuletzt sukzessive abgebaut und stattdessen ein bestehender Sessellift verlängert. Ab Jänner gibt es zudem eine neue (pistenlose) Seilbahn-Verbindung ins Tierser Tal, um den Gästezubringer-Verkehr auf der Straße aus dem Nachbartal zu verringern. Binnen sieben Minuten geht es dann von St. Zyprian zur Frommer Alm mitten im Skigebiet.
Von dort kann man auch nach Welschnofen abfahren. Sieben Kilometer lang ist dieser Belastungstest für die Oberschenkel. Das mit dem Windschatten kann man auch hier nach den ersten Gleitpassagen getrost vergessen ... Dafür muss Florian Eisath im Ziel eben länger warten.
Klaus Höfler