Die Einheimischen des karnischen Dorfes Illegio gelten generell als unbeugsam. Sie bewahren ihre Traditionen, insbesondere religiöse Rituale, wie auch Werte ihrer Vorfahren und erzählen sich bis heute Legenden ihrer Urgroßeltern.
Trotz der Abgeschiedenheit gibt es seit 16 Jahren eine starke Vernetzung der Ortsgemeinschaft innerhalb der europäischen Kunstszene. Organisiert wird die jährlich wechselnde Ausstellung von zwei kunstinteressierten Geistlichen aus Tolmezzo: Don Alessio und Don Geretti, in enger Kooperation mit den Illegianern.
Die Kunst scheint selbst in einer Krisenzeit nichts von ihrer Kraft einzubüßen. Unter dem Motto „Nichts ist verloren“ werden zerstörte und verschollene Kunstschätze wieder sichtbar gemacht. Die diesjährige Auswahl beschränkt sich ausschließlich auf rekonstruierte Meisterwerke. Sieben wurden von Factum Arte, einem Madrider Spezial-Labor, rekonstruiert, zum Teil mithilfe von 3D-Druckern.
Dies bedeutet technische Feinarbeit: So konnten anhand von Skizzen, Überresten, Briefen sowie Postkarten, vor allem aber durch intensive Recherchen und Farbstudien verlorene Kunstschätze wieder hergestellt werden.
Wenn das Unsichtbare sichtbar wird, entsteht eine Flut an Information. Durch die spannenden Erzählungen bekommt man während der Führung das Gefühl, selbst ein stückweit zum Meister der Enthüllung zu werden. Heuer gibt es zum ersten Mal auch Audio-Guides. Die Exponate spiegeln die Vergänglichkeit wider und machen zugleich Mut, selbst in einer Krisenzeit nicht aufzugeben.
Gustav Klimt sorgte 1901 mit seinem Gemälde „Medizin“, einem Auftragswerk für die Universität Wien, für einen Eklat. Er stellte Hygeia, die Göttin der Gesundheit und Tochter des Heilgottes Asklepios, als Femme fatale dar. Im Hintergrund zeigte er Menschen diversen Alters, sogar den Tod. Seine Botschaft: Der Lauf des Lebens lässt sich selbst durch die Medizin nicht aufhalten. Klimt kaufte auch diese Auftragsarbeit zurück und stürzte daraufhin in eine Lebenskrise. Das skandalumwobene Gemälde wurde im Rahmen der Weltausstellung in Paris prämiert. Es gelangte später ins Schloss Immendorf, wo der Vater des Philosophen Ludwig Wittgenstein lebte. In den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs setzte die SS das alte Gemäuer komplett in Brand.
Johannes Vermeer erlebte im 17. Jahrhundert eine Art Lockdown. Das calvinistische Regime verbot den Katholiken, in die Messe zu gehen. Vermeer, einer der bekanntesten holländischen Maler des Barocks, malte daher vorwiegend die häusliche Umgebung. Er hatte vermutlich nur einen einzigen reichen Abnehmer, wodurch er sich das Malen mit dem teuren Lapislazuli leisten konnte. Auf symbolischer Ebene stellte er im „Konzert zu dritt“ der treuen Liebe die käufliche gegenüber. 1990 wurde sein Werk aus dem Isabella-Gardner-Museum in Boston gestohlen. Zeit seines Lebens entstanden 36 Bilder, einige hatten große Ähnlichkeit mit dem gestohlenen Werk, was das Farbstudium erleichterte.
Wie sehr in Illegio die Bezüge zwischen Kunst und regionaler Kultur ineinander verflochten sind, zeigt auch die Geschichte zweier spätgotischer Holzstatuen. Da die Illegianer den Fußmarsch im schneereichen Winter 1986 nicht auf sich nehmen konnten, wurde ihnen dies wohl zum Verhängnis. Denn sie verloren ihre Schutzheiligen. Dieser Kunstraub war für die Einheimischen ein großer Schock. 2017 gelangten zwei Märtyrer jedoch wieder in die Taufkirche Sankt Florian zurück.
Claudia Baumgardt führt in deutscher Sprache durch die Ausstellung. Vor diesen beiden Holzstatuen bleibt die Kulturvermittlerin stehen und betont: „Nichts geht verloren, niemand soll zurückgelassen werden, denn wir sind alle miteinander verbunden.“ Ein Blick auf die Widersprüchlichkeiten der Kunstraube, der entarteten Kunst, der Brandstiftungen und offenen Kritik an Meisterwerken lohnt sich. Sie werden geläutert aus der Ausstellung gehen! Und den Spirit eines intakten Dorflebens genießen.
Von Ute Mörtl