"Travagliari" oder, authentischer noch, "travagghiari" bedeutet in Sizilien schlicht und einfach nur arbeiten. Wobei kein Unterschied besteht, ob es sich um leichte Betätigung oder Schwerarbeit handelt, an deren Ende ein Bandscheibenvorfall steht. Da zwischen Catania und Palermo aber vieles elastisch ist, steht der Begriff auch für geistige Tätigkeit. Und auch in dieser Hinsicht spielt die größte Insel des Mittelmeeres seit der Blütezeit der griechischen und römischen Antike konkurrenzlos in einer eigenen Liga. Doch nicht von großen Geistern wie Homer oder Theokrit soll hier die Rede sein. Auch der Geheimrat Goethe, der die Insel vor allem hoch zu Ross durchstreifte und sich häufig maßlos ärgerte über die bis zum Horizont ragenden Distelfelder, wird hiermit wieder dienst- und zitatfrei gestellt.
Wein und späte Abendstunden
Nein, die neu entdeckte literarische Liebe gilt dem schwäbischen Reiseschriftsteller Wilhelm Waiblinger, der 1829, knappe 25 Jahre alt, ungeheuerliche Erlebnisse zu Papier brachte. Wobei Waiblinger wenig Hehl daraus machte, dass köstliche sizilianische Weine nicht nur zur späteren Abendstunde seinen vollen und innigen Zuspruch fanden. Der wundersame junge Mann erzählt nicht nur haarsträubende Banditen- und Räubergeschichten. Er schildert auch die seiner bescheidenen Ansicht nach erste Ätna-Direkt- und -komplettbesteigung.
Zehn Stunden habe sein kühner Anstieg gedauert, in schwindelerregenden Höhen sogar durch lindeste Winde zu Boden geworfen. Doch er schaffte es, direkt unter dem Krater, endlich zu kampieren, um am nächsten Tag, teils tollkühn, teils mit Todesangst, einen langen und tiefen Blick direkt in die Kraterhölle zu werfen, die ihm nichts als Feuer, Dampf und Donner entgegenschleuderte. Mit einem Schlag (es könnte sich natürlich auch um einen dezenten Steinschlag gehandelt haben) sei ihm die gesamte Schöpfungsgeschichte klar vor Augen gestanden. Und mit diesem Anblick wollen wir ihn, schweren Herzens, alleine lassen.
Aufgabe verfehlt
Aus heutiger Sicht lässt sich daraus aber eine wichtige Lehre ziehen. Berge, da mögen sie noch so widerspenstig sein wie besagter Ätna, haben eine Fülle wichtiger Aufgaben zu erfüllen. Das Rauchen aber, noch dazu in freier Natur, sollten sie den ohnehin unbelehrbaren Menschen überlassen.
Auf eher bodenständige Weise brach einige Jahre zuvor ein Landsmann von Goethe und Waiblinger in Richtung Sizilien auf: Johann Gottfried Seume marschierte aus seinem Heimatort in der Nähe von Leipzig bis nach Syrakus ins „Reich der Dolci und Düfte“, so der Literat Hanns-Josef Ortheil, der sich in den süßen Paradiesen der Insel ganz den grandiosen Gaumenfreuden und Wunderwerken aus Früchten, Zucker und Nüssen hingab, „gespeist von Aromen, die nur die Sonne des Südens hervorbringt“.
Süssilien
Anders als Meister Waiblinger, dem auch Ortheil ein Denkmal setzte, benötigt er zur Beweisführung keinerlei Übertreibungskunst. Hieße das Eiland nicht Sizilien, sondern Süssilien – es wäre so unangemessen nicht. Zumal ja auch etliche der zahllosen Hügellandschaften und Städtchen aussehen, als seien sie von einer überirdischen Konditorhand geschaffen worden. Man nehme nur Taormina, von den Sizilianern sehr hart ausgesprochen. Etwa so: Trrrminnna. Taormina also: Berglein an Berglein, aufgetürmt wie Pistaziencreme, darüber eine dicke Honigschicht und dann draufgeklebt, wie bunte Streusel, die Häuser.
Die Naturschönheit, die antike Historie und die Farbenpracht verhelfen Sizilien im Mittelmeerraum zu einem einzigartigen Status. Wer zu einer Inselrundfahrt aufbricht, wird, dazu passend, nicht nur ein oder zwei Lieblingsorte finden, sondern Dutzende.
Und doch gibt es ein Städtchen, das einen speziellen, persönlichen Sonderstatus besitzt: Piazza Armerina, rund drei Kilometer von der monumentalen Mosaikhochburg Villa Roma entfernt, aber fast unbehelligt von den Touristenströmen.
Denn dort, auf dem kleinen Hauptplatz von Piazza Armerina, stellte sich bei einem Espresso und einigen Dolci jene Erkenntnis ein, die ohnehin schon tagelang im Unterbewusstsein rumorte. Sizilien ist eine einzige Filmkulisse, es ist das größte und wundersamste Lichtspielhaus der Welt, in Cinemascope verewigt durch geniale Großmeister wie Visconti, Antonioni, Rossellini, natürlich auch durch den „Paten“ von Francis Ford Coppola, die Filme der Taviani-Brüder oder die TV-Krimis rund um Andrea Camilleris Commissario Montalbano.
In einem seiner Bücher werden die vier Geräusche von Waffen erläutert. "Eine Pistole macht peng, eine Lupara macht wann, eine Maschinenpistole macht ratatatà, ein Messer macht pfffft."
Hier auf dem Platz machte es, mitten in die friedliche Stille hinein, plopfboingggpeng. Verursacht durch eine Vespa, die um die Ecke knatterte. Film ab, Kamera läuft.
WERNER KRAUSE