Zu normalen Zeiten kann man die ganze Welt bereisen. Mit dem nötigen Geld, mit Zeit und ein bisschen Abenteuerlust steht die Antarktis ebenso offen wie die Andamanen, die innere Mongolei und die Äußeren Hebriden. Kein Flecken, keine Weltecke bleibt unbesucht, und ob sich das nach Corona groß ändern wird, ist mehr als fraglich. Nur eines kann man nicht: in die Vergangenheit reisen.

Wie wäre es, im antiken Rom spazieren zu gehen oder im Berlin der 1920er die Nacht zum Tag zu machen? Diese Sehnsüchte bleiben ungestillt, doch man kann auch in der Gegenwart auf Zeitreise gehen. Im Norden von Griechenland, auf der östlichsten der drei in die Ägäis ragenden Landzungen der Halbinsel Chalkidiki liegt Athos.

Rund um den heiligen Berg, auf einem Gebiet kleiner als Wien, haben sich an die 2000 Mönche niedergelassen. Das erste der heute 20 Großklöster wurde vor mehr als 1000 Jahren gegründet, und diese Klöster haben sich in ihrer extrem bewegten Geschichte bis heute als orthodoxe Mönchsrepublik gehalten. Die Architektur der kirchlichen Bauten von Athos, ihre Kunstschätze sind grandios. Und der Reiz, sich einem Kloster anzuschließen, ist offenbar größer geworden: Die Zahl der Mönche steigt seit einiger Zeit wieder.

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Pilgern, die sich eine Einreisegenehmigung besorgen, ist es möglich, in die Abgeschiedenheit von Athos vorzudringen. Fähren fahren die Küsten ab, wobei die ganze Abgeschiedenheit nicht bedeutet, dass hier Müßiggang auf der Tagesordnung stünde. Vatopedi etwa, eines der großen, traditionsreichen Klöster auf der Nordseite der Halbinsel, ist in Wahrheit ein agrarischer Großbetrieb. Die Mönche bedienen hier blitzblanke, hochmoderne Olivenöl-Pressen, lassen vorzüglichen Wein in Stahltanks reifen, während die Felder vor Früchten fast überquellen.

Doch im Inneren des Klosters ist die Zeit tatsächlich stehen geblieben. Stille, ernste Männer in schwarzen, langen Kutten huschen durch die Gänge, sie scheinen, als würden sie nicht zur Gänze Teil unserer Welt sein. Der sanftmütige Guide, dessen Deutsch einen osteuropäischen Akzent hat, weicht Fragen nach seiner Herkunft freundlich, aber sehr konsequent aus: „Ich komme vom Heiligen Berg“, sagt er. Aber wo lebte er davor? – „In Sünde.“

Das Kloster Vatopedi gleicht einer Festung
Das Kloster Vatopedi gleicht einer Festung © imagIN photography/stock.adobe.com

Die Selbstgewissheit dieser Mönche kann einen Besucher aus der „normalen“ Welt aus der Fassung bringen. An der Selbstverständlichkeit, mit der sie den Besucher zu wundertätigen Ikonen führen und von deren doch sehr erstaunlichen Kräften berichten, zerschellt unsere moderne Skepsis, und unsere weltlichen Angelegenheiten schrumpfen vor der Zeitlosigkeit ihrer Gedankenwelt.

„Sie sind voller Unruhe“, sagt auch der Abt, der Archimandrit Efrem, als er uns empfängt. An die unverheirateten Männer verteilt er regelmäßig Kopfnüsse, denn so viel Unentschlossenheit vor Gott schickt sich eben nicht. Doch die Strenge ist in viel Herzlichkeit eingepackt und wir werden nach einem köstlichen vegetarischen Mahl auch sofort eingeladen, über Nacht zu bleiben: Betten stünden gerade genug frei.

Die Mönche von Athos sind kamerascheu
Die Mönche von Athos sind kamerascheu © ververidis/stock.adobe.com

Es sind leider nur Männer, die diese sonnenbeschienenen Oasen der Stille und Einkehr besuchen dürfen. Weiblichen Wesen, mit Ausnahme von Katzen, ist der Aufenthalt auf Athos verboten. Das naturgemäß umstrittene Gebot wird von den Mönchen vehement verteidigt, man kann und darf das auch völlig unzeitgemäß und diskriminierend finden. Man kann vielleicht aber auch diesen paar Hundert Männern ihren Willen und ihre Autonomie lassen.

Für den Tourismus bringt diese Sperre natürlich auch ein gröberes Problem: Wie kann man das Gebiet rund um die Mönchsrepublik so attraktiv gestalten, dass das Reiseziel auch für Paare und Familien interessant ist? Nicht dass die Gegend eine hässliche Ecke wäre. Schon heute ist Chalkidiki für osteuropäische Touristen der kürzeste Weg zum Mittelmeer. Ein neues Luxushotel wie das Mount Athos Resort in der Nähe des Städtchens Ierissos, direkt an der Pforte zu Athos samt Fähr-Anlegestelle, zeugt davon, wie stark die Investoren an das Potenzial der Region glauben.

Die Ausgrabungsstätte von Stagira
Die Ausgrabungsstätte von Stagira © iza_miszczak/stock.adobe.com

Die Gegend badet nicht nur in Sonne und Meer, sondern auch in jeder Menge Wein: Die Produzenten sind meist kleinere Betriebe, die sich auf individuelle, originale Tropfen spezialisieren. Wer es schärfer mag, ist in Chalkidiki im Paradies: Der Tsipouro, ein Tresterschnaps, zu dem man auf keinen Fall Ouzo sagen sollte, ist hier in aller Munde. Mit viel Wasser und Eis wird er zum deftigen Essen getrunken, gebrannt in kleinen Hofdestillen, wie jener von Yannis Paschalas, einem wahren Meister seines Fachs, in der Nähe des Dorfs Gomati.

Dass hier, lange vor modernem Weinbau und Christentum schon eine Zivilisation bestand, soll nicht verheimlicht sein. Unweit von Athos liegt auch die Ausgrabungsstätte von Stagira, wo man die Überbleibsel einer antiken Polis betrachten kann. Europäer sollten den Namen des Ortes kennen oder sich gut merken, steht dort doch eine der Wiegen des Kontinents. 384 vor Christus wurde dort der Philosoph Aristoteles geboren, einer der Väter der Wissenschaft und des Denkens ist ein Kind von Chalkidiki.

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