Konzentriert blickt der Mann auf meine Handfläche. Nur schwer kann man sein Alter erraten. Den Falten nach zu urteilen, sitzt der Burmese mindestens seit sieben Jahrzehnten auf seinem kleinen Stuhl an dieser Straßenecke in Yangon, um den Touristen, aber vor allem den Einheimischen die Zukunft vorauszusagen. Seine Augen jedoch strahlen eine jugendliche Freude aus. „You will live long. Very loooong“, gleich zu Beginn die erleichternde Botschaft. „Ungewöhnliche Wege sollst du gehen“, ist er sich sicher. Eilig kritzelt der Mann kurze Stichworte auf meine Handfläche. Hochzeit, Reichtum, Verlust – alle großen Meilensteine sind dabei. Nach einer halben Stunde wendet sich der Wahrsager wieder von meiner Hand ab und blickt mit gleicher Faszination auf sein Smartphone. Ein altehrwürdiger Astrologe mit Handy? Klingt nach einer seltsamen Kombination, und doch beschreibt es die momentane Zwiegespaltenheit des Landes. Seit März 2016 hat Myanmar nach einem halben Jahrhundert Militärdiktatur wieder eine demokratisch gewählte Regierung. Das Land verändert sich.
Der Mann, der Regenschirme reparierte, ist schon weg. Die Frauen, die bis vor ein paar Monaten noch jeden Morgen auf der Straße ihre Klapptische mit den Telefonapparaten aufstellten, damit die Leute ihre Anrufe erledigen konnten, auch. Seit sich Myanmar dem Rest der Welt wieder geöffnet hat, kann man auf den Straßen der ehemaligen Hauptstadt praktisch in Echtzeit zusehen, wie Berufe dahinsterben. Was anderswo Jahrzehnte dauerte – die Umstellung auf Computer, Handys, Smartphones –, vollzieht sich hier viel schneller. Selbst die meisten der buddhistischen Mönche, die hier im Straßenbild alltäglich sind, haben heute ein Mobiltelefon in der Hand.
Aber es gibt sie noch, jene mystischen Orte, das ursprüngliche Asien, das bis vor Kurzem hinter jeder Straßenecke lockte. Besonders im Morgengrauen, wenn das Gros der Touristen noch schläft, thront die Shwedagon-Pagode, in ein warmes Licht getaucht, über Yangon. Bereits um vier Uhr früh finden sich hier zahlreiche gläubige Buddhisten ein, um zu beten. „Ich habe meine Prüfung gut gemeistert“, erzählt eine junge Studentin. „Dafür muss man Danke sagen“, ist sie überzeugt. Klar nach dem Motto „Was nicht auf Facebook steht, ist niemals passiert“ dokumentiert sie ihren Besuch in der Stupa mit dem Smartphone.
Auch Jochen Meissner beschreitet ungewöhnliche Wege. Nicht nur, weil sich der zwei Meter große Linzer fernab der Heimat eine neue Zukunft aufgebaut hat. Auch, weil er Radtouren in Yangon anbietet. Und das abseits der Touristen-Hotspots. Seine Touren führen über den Fluss, in Stadtteile, wo die Menschen noch ungestört von westlichen Begehrlichkeiten leben. „Viele meiner Gäste sind Europäer, die schon länger hier wohnen, aber noch nie über das Zentrum hinausgekommen sind. Das Erstaunen ist jedes Mal groß“, erzählt der 39-Jährige. Auch Wanderungen im Chin-Staat, nordwestlich des Vielvölkerstaates, bietet der Auswanderer an. Bis vor Kurzem war der Zutritt für Ausländer noch untersagt. Behutsam und nur in Kleingruppen bringt Meissner nun Touristen dorthin.
Wer nach Myanmar kommt, kommt an Bagan nicht vorbei. Sprachlos steht man vor über 2000 Tempelanlagen, die sich auf einer Ebene erstrecken. An manchen Tagen steht man auch der Flut an Touristen sprachlos gegenüber, die den beliebten Sonnenuntergang auf einer der Pagoden genießen will. Der US-Amerikaner Ian Hayes, Gründer von „Three Treasures Responsible Tourism & Trading“, hat in all dem Trubel die ruhigen Orte der mystischen Stätte gefunden. Ein ganzes Jahr hat er nach diesen gesucht, nun bietet er darin Meditationen zu Sonnenaufgang und spezielle Führungen nur für wenige Teilnehmer an. Eben abseits der touristischen Trampelpfade.
Und wie hat schon der Wahrsager prophezeit: „Du sollst ungewöhnliche Wege gehen.“ Mit dieser einen Sache hatte der Alte bestimmt recht. Das macht Hoffnung, denn der vorhergesagte Reichtum blieb bisher noch aus.
Maria Schaunitzer