Es sind kleine Handgriffe, in denen sich am vergangenen Samstagnachmittag eine große Symbolkraft sammelt. Priyanka sitzt auf der Wiese rund 15 Kilometer nördlich von Kathmandu. Rund um das zehnjährige Mädchen sind Schüsseln und Teller mit Essen und viele Kinder versammelt. Das Glück des Augenblicks spiegelt sich in ihren lachenden Gesichtern wider. Es gibt etwas zu feiern. Priyanka führt mit konzentriertem Blick durch die traditionelle Zeremonie, mit der die Grundsteinlegung für den Wiederaufbau des Kinderheims und den Neubau von zwei Schulen in Sundarijal gefeiert wird. Ein kleines Fest für ein großes Projekt, nachdem die Natur mit noch größerer Wucht vor zehn Monaten den Alltag in Nepal zerrüttet hat. Auch in Sundarijal.
Das Erdbeben Ende April zerstörte dort ein Kinderheim, in dem damals 50 junge Menschen und ihre Betreuerinnen untergebracht waren. Verletzt wurde wie durch ein Wunder niemand, die Häuser blieben aber unbewohnbar. Als Ersatzunterkünfte wurden zunächst Zelte, später Hütten aus Sperrholz und Wellblech errichtet. Fensterscheiben gibt es keine. Jedem Kind steht in den nach Mädchen- und Bubenbelegung getrennten Gemeinschaftszimmern ein kleiner Kasten für Kleidung und Schulsachen zur Verfügung, die Stockbetten sind aus Platzmangel teilweise doppelt belegt. So wohnen die Kinder bis heute. Aber nicht mehr lange.
Steirer plant neuen Kinderheim-Campus
Dank massiver Hilfe des Grazer Reiseveranstalters Weltweitwandern ist der Wiederauf- und Ausbau des Kinderheims mittlerweile im Laufen. Die Unterstützung kommt nicht nur in Form von Geldspenden, auch Know-how und helfende Hände hat Weltweitwandern-Chef Christian Hlade organisiert: Johannes Würzler, ein junger Architekt aus der Südsteiermark, hat zusammen mit lokalen Kollegen die Planung der neuen Gebäude übernommen; für seine Kunden hat Hlade das sehr gut gebuchte Programm „Helfen und Wandern“ kreiert, einen Mix aus Trekking in den Bergen und Mitarbeiten auf der Baustelle.
Die neue, campusähnliche Anlage wird neben dem Kinderheim auch eine Schule und Werkstätten umfassen. Allesamt so weit wie möglich aus nachhaltigem Baumaterial errichtet: aus Lehm, Bambus – und leeren Flaschen. Für seine sogenannte „Bottle House“-Architektur war das in dieser Form vor dreieinhalb Jahren eröffnete Kinderheim schon vor dem Erdbeben bekannt. Auch bei den jungen Bewohnern, die aus armen Familien in den Bergen oder direkt von der Straße kommen, wurde diese spezielle Wohnumgebung zur Identifikationsmarke: „Wir sind die Kinder aus dem Flaschenhaus“, sagen sie mit dem Stolz, Teil von etwas Besonderem zu sein.
50.000 Flaschen als Baumaterial
Knapp 50.000 leere, nicht recycelbare Bier-, Wein- und Whiskyflaschen wurden in der näheren Umgebung eingesammelt, aneinander- und aufeinandergestapelt und mit Lehm als Bindemittel zu widerstandsfähigen Mauern hochgezogen. Die Flaschenhälse, die außen aus der Mauer ragen, vermitteln das Bild eines sanften Schutzpanzers. Im Inneren sorgt das sich müde durch die dicken Flaschenböden brechende Sonnenlicht für eine unverwechselbare Stimmung.
Genau diese Atmosphäre will man wieder herstellen. Eifrig wird dafür am Wiederaufbau gearbeitet. Am Ende sollen auf dem Gelände bis zu 100 Kinder eine neue Heimat bekommen. Prajitz, 15 Jahre alt, und Manmaya, 13, die beide im Kinderheim aufgewachsen sind, freuen sich schon auf das, was da am Entstehen ist. Auch auf die Schule, die auch für Kinder aus der Umgebung zugänglich wird und im Endausbau bis zu 400 Schülern Platz bieten soll. Die Buben sorgen sich dagegen eher, ob es im neuen Areal auch wieder einen Fußballplatz geben wird, wo sie in ihren Barcelona- und Real-Madrid-Leiberln als nepalesische Messis oder Ronaldos auf Torjagd gehen können.
Sudama kann ihnen diese Sorgen nehmen.
Der hauptberufliche Trekking-Guide, Fremdenführer und umtriebige Kleinunternehmer ist treibende Kraft hinter dem Kinderheimprojekt. Vor elf Jahren begann er, ein damals fünfjähriges Mädchen privat zu unterstützen. Mit Teilen des Trinkgelds, das er von Touristen bekam, bezahlte er über Jahre (und zu Beginn unbemerkt von seiner eigenen Frau, weil er nicht wusste, wie sie auf dieses Engagement reagieren würde) Schulgeld und Kleidung für das Mädchen.
„Ich kann bis heute nicht die Augen zumachen, wenn Kinder nicht in die Schule gehen können“, sagt Sudama und drückt Dali fest an sich. Das Mädchen, sein erster Schützling, hat mittlerweile eine medizinische Ausbildung in Kathmandu begonnen. Sie hat ihren Traum verwirklicht. Prajitz und Manmaya träumen ihn noch. Beide wollen nach der Schule eine Hotelmanagement-Ausbildung beginnen.
Das „Flaschenhaus“ am Rande von Kathmandu ist aber nicht der einzige Ort, an dem der Weltweitwandern-Chef Christian Hlade hilft, Zukunftsvisionen der jungen Nepalesen zu verwirklichen. Auch im Sherpadorf Hile im Everest-Gebiet entsteht gerade eine Schule.