Gehen kann man ja grundsätzlich immer und überall. Man muss es nur tun. Und im Gehen entlang des zwölf Kilometer langen Lungomare im kroatischen Opatija finden viele Besucherinnen und Besucher das wieder, was sie glaubten, verloren zu haben: den Blick für die Schönheiten der Natur – für das Unaufgeregte und Unaufdringliche. Es ist einfach da. Wie Poesie.
Viele Schriftstellerinnen und Dichter haben sich nicht umsonst das Seebad und die Kvarner Bucht ausgesucht, um ihre Gedanken schweifen zu lassen. An jedem Teilabschnitt des Lungomare – von Volosko bis nach Lovran – kommt man mit der atemberaubenden Landschaft in Berührung.
So schrieb etwa der österreichische Schriftsteller Heinrich von Littrow, ein pensionierter Kapitän in Rijeka und am Lungomare mit einem bronzenen Reliefporträt verewigt, über „das frische Grün von Opatija, über die Kamelie, den Lorbeer und die Sonnenuntergänge in der Kvarner Bucht, deren Stille nur durch die flatternden Delfinsprünge gestört wird“. Man muss sich also nicht wundern, dass Littrow nach seiner Pensionierung nach Opatija zog, wo er in der Villa Rusticana lebte, die dem Torpedo-Hersteller Roberto Whitehead gehörte.
"Ein Ort der Ruhe"
Für die Schönheit dieser Region und die dichtenden Worte großer Künstler kann sich auch Barbara Zrinscak (49) begeistern. Sie ist gebürtige Berlinerin, kam aber bereits in jungen Jahren nach Kroatien und lebt seit 25 Jahren in Opatija. „Es war immer schon ein Ort der Ruhe, eine Quelle für innere Kraft und Inspiration – nicht nur für Künstler, sondern auch für alle anderen Menschen“, sagt Zrinscak, die Anglistik und Germanistik studierte und seit 1997 als Reiseleiterin tätig ist.
Seit diesem Jahr bietet sie in Opatija auch literarische Wanderungen an, ausgehend vom Hotel Miramar. Das ist kein Zufall, denn das Hotel der Familie Holleis direkt am Meer lässt der hohen Dichtkunst noch heute viel Raum: mit Leseabenden der Christine-Lavant-Gesellschaft, mit einem mehrtägigen Literaturfestival im November und dergleichen.
Doch zurück an den Lungomare, der einen mit jedem Schritt tiefer in die Stille der Umgebung eintauchen lässt. Kreischende Gedanken verstummen, zurück bleibt das Rauschen des Meeres. „Luft und Stille fehlen nicht. Das Wetter ist sehr schön, die Luft etwas kühler, erfrischend und weich zugleich. Am Himmel ruhen hohe, weiße Wolken, weshalb das Meer einem blassblau vorkommt ...“, schrieb etwa der polnische Nobelpreisträger Henryk Sienkiewicz, der auf Drängen seiner Ärzte im April 1887 zum ersten Mal Opatija besuchte. Angekommen im Hafen spürte er sofort, dass dieser Ort perfekt für seine Suche nach Erholung und Ruhe sein würde.
Gegenwart und Vergangenheit
Wir gehen ein Stück weiter – im Gesicht den frischen Wind der Gegenwart verspürend, im Rücken die sanfte Brise vergangener Tage. „Die Gegend hier ist eine Oase in der unendlichen Wildnis der Vergangenheit und Gegenwart, ein natürliches Sanatorium und ein spirituelles Asyl“, sagt Barbara Zrinscak und zitiert damit den Literaturhistoriker Ivan Lukezic.
Vorbei an Bauten aus der Zeit der Donaumonarchie, an Villen, die ebenso in Bad Ischl stehen könnten, an malerischen Badebuchten, Fischrestaurants, Hundestränden und Cafés geht es entlang des Weges, der sich durch den Küstenabschnitt schlängelt. Im Park Angiolina, wo die Kamelienblüte einem entgegen leuchtet, wandert unser Blick zum Hotel Imperial. Dort saß der berühmte Ulysses-Schriftsteller James Joyce stundenlang auf der Terrasse, trank Kaffee und beobachtete Passanten und Besucher.
Es waren noch weit mehr Dichter und Schriftsteller, wie Nobelpreisträger Ivo Andric oder den amerikanischen Schriftsteller Vladimir Nabokov, die sich in Opatija aufhielten, aber eines ist ihnen allen gemein: Die Liebe zur Region und das Sehen der Dinge, die sich vor unseren Augen abspielen. Und wie könnte das besser gelingen als im Gehen.
Martina Schmerlaib