Hat ihr Aufwachsen in einer bäuerlichen Berggegend es erst ermöglicht, dass Sie zu dem geworden sind, der Sie heute sind?

Hansjörg Auer: Meine Eltern haben von Anbeginn an immer Vertrauen in mich gehabt. Ich bin ganz früh mit meinen Brüdern selbst in die Berge gegangen. Um auf die Schaf zu schauen. Die Eltern haben mich gehen lassen. Deshalb hat es sich auch so entwickelt, dass es für meine Eltern relativ einfach ist, wenn ich auf Expedition gehe, das ist über die Jahre aufgebaut worden. Heute ist es schwieriger, dass du die Kinder gehen lässt. Ich war aber immer einer, der ehrgeiziger und fanatischer war als andere. Ich habe halt Bergbücher zehn Mal gelesen.

Wenn man Ziele wie die "Free Solo"-Begehung des "Weg durch den Fisch" an der Marmolata oder den Kunyang Chhish Ost in Pakistan erreicht, ist es dann schwieriger neue Ziele zu finden?

Auer: Vor zehn Jahren war es schwieriger. Da war ich persönlich viel mehr unter Druck. Jetzt ist es viel feiner. Es geht aber nicht darum, dass man eine Leistung topt. Wenn ich auf Expedition bin, dann möchte ich nicht eine noch geilere Expedition wie den Kunyang Chhish Ost, das steht einfach alles für sich. Früher ging es auch darum wie schwer, was oder wo man klettert. Jetzt gibt es für mich bestimmte Projekte, die man probieren will, um den Alpinismus weiter zu bringen. Ich bin nicht ganz alt, aber über 30. Und wenn du mit den richtigen Leuten unterwegs bist, dann kannst du steile Sachen machen. Ich lebe ja davon, ich kann das ganze Jahr tun, was ich will. Und als Profikletterer musst du ständig den Willen haben, dich selbst zu motivieren.

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Sie schreiben in ihrem Buch "wenn man das Spiel spielt, muss man die notwendigsten Regeln einhalten". Wie oft haben sie die Regeln gebrochen?

Auer: Qualität erfordert ein hohes Maß an Ehrlichkeit zu sich selbst. Man weiß, gut, man geht einen Schritt zu weit und tut es trotzdem. Man braucht einen Mix: Gewisse Sachen kann man nur, wenn man über die Grenzen geht und es gefährlicher wird als man möchte. Ich denke auch, dass es im Leben nicht 30 Highlights gibt, sondern nur eine Handvoll.

Auer am Heiligkreuzkofel "Free Solo"
Auer am Heiligkreuzkofel "Free Solo" © Matteo Mocellin

Das Bergführen, beschreiben Sie in ihrem Buch, war nie ihr Ding: Die anderen sind einfach immer langsamer als sie selbst.

Auer: Ich habe die Aufnahmeprüfung einmal gemacht, weil es im Ötztal war. Dann war ich Bergführer. Um in relativ kurzer Zeit Geld zu verdienen, um unterwegs zu sein. Ich bin kein Typ für einen hauptberuflichen Bergführer. Ich führe vier Mal im Jahr, wenn ich aushelfe. Um so weniger ich gehe, um so mehr macht es mir Spaß. Aber ich bin ja auch Lehrer (Auer ist ausgebildeter Lehrer für Mathematik und Sport, Anmerkung), ich arbeite gerne mit Kindern zusammen. Führen ist ja etwas anderes als mit Kindern zu arbeiten.

Sie sagen, die Stadt sei nicht ihr Platz. Jetzt leben Sie im Ötztal, wo sie auch aufgewachsen sind. Haben Sie im Leben das, was Sie wollen?

Auer: Jein. Mir sind natürlich diese Türen geöffnet worden, dass man vom Bergsteigen leben kann. Ich lebe seit 2009 davon. Das macht mir sehr viel Spaß. Ich habe es geschafft in diesem Korridor, der von meinen Grundsätzen bestimmt ist, zu leben. 

Wie darf man es sich vorstellen, psychisch in der Lage zu sein eine Route ohne Seilsicherung, ohne technische Hilfsmittel, also "Free Solo" zu klettern?

Auer: Das ist eine Fähigkeit, die man nicht lernen kann. Man muss das Bewusstsein finden, wo man sich wohl fühlt. Es geht nicht darum, sich etwas zu beweisen. Ich habe immer sehnsüchtig auf den Moment gewartet, ohne Angst. Das ist für mich der richtige Weg, andere machen viel mehr Solos. Ich habe immer versucht, das nicht als Routine zu sehen.

Was ist der Preis, den es sich auszahlt, für den Alpinismus zu bezahlen?

Auer: In Beziehungen zahlt man seinen Preis. Bei einem "Free Solo" gibt es gegenüber den Angehörigen keine Rechtfertigung. Es ist so, als würde man seine Angehörigen oder die Freundin immer mit einer Nadel stupfen.