Wenn man die Geschichte einmal gehört hat, hört man auch den Sound: Wie die Fugen in den Gleisen das Grundgerüst bilden, auf dem die Gitarre ansetzt; wie man, dem Ziel nahe, schneller werden will – aber doch im eingetakteten Fahrplan bleibt. Mitte der 1970er inspirierten die Fahrten mit der S-Bahn quer durch Berlin Iggy Pop zu "The Passenger". Einer von hunderten Songs, in dem die deutsche Hauptstadt ihre Spuren hinterlassen hat – und die allesamt als Stadtführer herhalten können.
Um zu verstehen, was Berlin so musikalisch macht, sollte man in den Hansa-Studios starten, Führungen gibt es täglich. Den Bombenhagel 1945 hat das ehrwürdige Gebäude unbeschadet überstanden – als einziges Objekt in seiner Häuserzeile.
In den 1970er Jahren ragte es auf einer Landzunge nach Ostberlin. "Standing by the Wall", beschrieb David Bowie den Blick aus dem Hansa-Fenster auf ein Liebespaar. Er ist nur einer von zig Weltstars, die dort aufzeichneten. U2, Depeche Mode, R.E.M. folgten.
Aber auch in deutschen Texten hat sich die Stadt eingeschrieben: "Das Mädchen in Ostberlin" etwa, oder – ebenfalls Udo Lindenberg – der "Sonderzug nach Pankow", an dessen Ende Schloss Schönhausen und das einstige Wohnviertel der SED-Spitze stehen. Sehenswert, wenn man auf beklemmende Atmosphäre steht. Die vermitteln auch die einstürzenden Neubauten, die in "Am Landwehrkanal" über den Tod von Rosa Luxemburg singen. Will man sich den vielen Wasserstraßen ohne Schwermut nähern: In Kreuzberg, wo der Landwehrkanal von der Spree abzweigt, schwimmen die Bars am Wasser. Die Hip-Hopper von Seed beschrieben in "Dickes B" Anfang der Nullerjahre die Weltoffenheit, die damals die Stadt erfasste. Und zumindest wenn die Sonne untergeht und die Menschen auf den Straßen bunter werden, lebt diese Stimmung wieder auf – nicht nur vor dem Reiseführer-Tipp Berghain. Übrigens: Wer auf Bunker steht, kann diese auf die klassische Tour erkunden, oder sich – Achtung: langfristige Buchung nötig – ein Ticket für die Boros-Sammlung im ehemaligen Reichsbahnbunker Friedrichstraße checken, die größte Sammlung zeitgenössischer Kunst in der Stadt.
Prägend, im Stadtbild aber auch im Musikverzeichnis der Stadt, ist freilich die Mauer. Die Sex Pistols wollten in "Holidays in the Sun" darüber klettern, weil sie das Ding nicht verstanden und ließen im Intro Soldatenstiefen marschieren. Noch heute kann man Teile der Mauer sehen, an mehreren Stellen wird an die auf der Flucht Ermordeten erinnert. Ein Teil der ehemaligen Todeszone ist mittlerweile der Mauerpark, die Band MIA hat der dort brachial zelebrierten Lebenslust in "Mauerpark" ein Werk gesetzt.
Die schönste Berliner Musik-Geschichte ist aber eine Mär – jene, dass David Hasselhoff 1989 auf der Mauer sang und sie zum Einsturz brachte. Er war ein Kran vor dem Brandenburger Tor, "Looking for Freedom" schallte bis zur Siegessäule. Beides sehenswerte Fixpunkte – und gleich dazwischen der Tiergarten, den Rufus Wainwright besang: "Won’t you walk me through it all, darling?"