Sie wird in der Erfolgsoperette „Gräfin Mariza“ von Emmerich Kálmán besungen: „Komm mit nach Varaždin, solange noch die Rosen blühen, dort wollen wir glücklich sein, wir beide ganz allein ...“ Ende August zumindest ist man ganz sicher nicht allein, denn da strömen Tausende Besucher in die ehemalige kroatische Hauptstadt an der Drau, wenn Gaukler und Straßenkünstler das Zentrum beleben. Seit mittlerweile 25 Jahren findet dort das Špancirfest statt. Kunsthandwerk, Konzerte, Weinverkostungen und Gourmetstände sorgen für Stimmung. Das ist eine gute Gelegenheit, das Wiedererwachen der einstigen Barockstadt zu erleben. Die Stadt an der ehemaligen Römerstraße ist zugleich Tor nach Slawonien, dem Slawenland, das zwischen Ungarn und Bosnien liegt.
Das noch unentdeckte Reiseziel erzählt von einer gemeinsamen Vergangenheit, endlos scheinenden Feldern, jahrhundertealten Eichenwäldern, Thermalquellen und reichen Weingärten. In der Nähe von Varaždin nimmt die Drau die Mur auf und bildet im nordöstlichen Teil von Kroatien die Grenze zu Ungarn. Im Dreiländereck von Ungarn, Kroatien und Serbien vereint sich die Drau dann schließlich mit der Donau. Auen, Sümpfe, Wasserstraßen prägen das Naturschutzgebiet Kopački rit mit seiner reichen Artenvielfalt. Es schützt eine Fläche von 23.000 Hektar, davon 15.000 Hektar Wasserfläche, auf denen der Besucher in ein wahres Abenteuer eintauchen kann.
Mehrsprachigkeit und kultureller Schmelztiegel
Der Bootsführer ist ein Sprachstudent und generell fällt die Mehrsprachigkeit der Einwohner auf. Leonardo macht daher auch auf die Ortsbeschilderungen in den umliegenden Dörfern aufmerksam. Beschriftungen in Kroatisch und Serbisch oder Kroatisch und Ungarisch sind nicht unüblich. Es kann auch vorkommen, dass sich drei verschiedene Kirchen, nämlich orthodoxe, katholische und protestantische, in einem Ort befinden. Das zeugt von der multikulturellen Mischung der slawonischen Bevölkerung. Heute erkennt man ein friedliches Miteinander in Slawonien, mit dem Blick in eine ebenso friedliche Zukunft. Seit heuer zahlt man in Slawonien mit Euro, ein weiterer Schritt zum europäischen Gemeinschaftsgedanken.
Doch dieses Grenzgebiet erzählt auch von vielen Auseinandersetzungen. Ein monumentales Denkmal erinnert an die Schlacht von Batina, einer der schwersten Militäroperationen des Zweiten Weltkrieges. Über einem Massengrab hat der kroatische Künstler Antun Augustinčić einen Fackelträger auf einem zwanzig Meter hohen Obelisken platziert. Die Plattform bietet für die heutigen Besucher nicht nur Aufarbeitung der Kriegshandlungen, sondern zugleich einen atemberaubenden Ausblick auf die Donau und ihre Auenlandschaft.
Hauptstadt, Hafenstadt und Verkehrsknotenpunkt
Hauptstadt Slawoniens ist Osijek, eine Hafenstadt an der Drau und wichtiger Verkehrsknotenpunkt. Mit der belebten Uferpromenade zelebrieren die Einwohner eine Küstenatmosphäre. Am Abend verleiht die beleuchtete Fußgängerhängebrücke über dem Fluss der Stadt ein modernes Flair.
Hier fühlt sich Igor wohl. Er kehrte als Siebenjähriger mit seinen Eltern aus Deutschland wieder zurück nach Kroatien, in das vom Krieg verwüstete Slawonien. Ein Schock. Heute profitiert er von seinen guten Deutschkenntnissen und zeigt Touristen seine Heimat, zum Beispiel das exklusive Restaurant, das als Schiff an der Drau vor Anker liegt. „Projekt 9“ nennt sich der gastronomische Anziehungspunkt, wo auch traditionelle Köstlichkeiten verkostet werden können. Generell ist die slawonische Küche sehr deftig, mit Variationen von Fleisch- und Fischgerichten und dem Hirteneintopf „Čobanac“. Natürlich darf Paprika nicht fehlen!
Zu empfehlen sind auch die gut geführten ländlichen Lokale, in denen noch beschwingte Volksmusik gespielt wird, wie zum Beispiel Grešna pilnica oder das Baranjska kuča. Dort präsentiert Wladimir seinen Gästen stolz einen fangfrischen Stör aus der Donau.
Ein Prinz prägte die Region
Nahe Osijek bewirtschaftet das Weingut Belje mehr als 600 Hektar Land und keltert aus den Trauben pro Jahr drei Millionen Liter Wein, hauptsächlich Weißweinsorten. Das Weingut wurde von keinem Unbekannten gegründet, nämlich von Prinz Eugen von Savoyen. Mit dem Frieden von Karlowitz 1699 fiel nämlich Slawonien an das Habsburgerreich. Zum Dank schenkte Leopold I., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, weite Landstriche dem großen General, dessen Siege die Expansion der Osmanen in Europa stoppten. 1697 unternahm Eugen von Savoyen mit 6000 Soldaten von Osijek aus einen erfolgreichen Feldzug nach Bosnien. Auf dessen Anweisung wurde im südlichen Slavonski Brod eine Festung für 4000 Soldaten erbaut. Zum Teil kann man die mächtige, sternförmige Anlage noch heute erkennen.
Das Schloss von Prinz Eugen in Bilje ist heute beliebt bei „Fotojägern“ verlassener Orte, denn dieses geschichtsträchtige Denkmal wartet noch auf seine Renovierung. Ein weiteres Schloss befindet sich im nahen Tikveš und erinnert nicht nur an den mächtigen General, sondern auch an die berühmten Jagdgäste von Josip Broz Tito. Alte Fotos berichten von einer Zeit, von der die Einheimischen nicht gerne erzählen.
Beste Verbindungen nach Wien pflegte der gebürtige Kroate und spätere Bischof Josip Strossmayer. Er wurde 1847 zum Hofkaplan und zum Direktor des kaiserlichen Institutes des Heiligen Augustin in Wien ernannt, in Kroatien begründete er die Akademie der Wissenschaften und Künste. Als Bischof bestellte Josip Strossmayer Baupläne für eine Kathedrale in Ðakovo, die schließlich am 1. Oktober 1882 geweiht wurde.
Für den historistischen Bau war der Wiener Architekt Friedrich von Schmidt verantwortlich, der bekannteste neugotische Baumeister des 19. Jahrhunderts. 43 Fresken mit biblischen Szenen wurden im nazarenischen Stil von Alexander Maximilian und Ludwig Seitz gemalt. Noch heute ist man stolz auf den Besuch von Papst Johannes Paul II. in Ðakovo und seiner Bewunderung für die Schönheit der slawonischen Ebene, der Kornkammer Kroatiens. Das Gold liegt hier am Horizont.
Kroatiens Lipizzaner
Und noch ein weiterer Bischof des Erzbistums Ðakovo-Osijek hat sich in der Residenzstadt durch Gründung ein Denkmal gesetzt. Nur im Fall von Mijo Mesarić ein Gestüt, das man eigentlich im steirischen Piber oder im slowenischen Lipica vermutet. Das heute staatliche Lipizzanergestüt wurde 1972 sogar von der britischen Königin Elisabeth II. als Teil ihres Staatsbesuches in Jugoslawien besucht. 2016 schaute die jetzige Königin Camilla vorbei.