Die Berge von Karnien sind wolkenverhangen. Der Wagen schraubt sich Richtung Paularo über eine kurvenreiche Straße, furchterregend am Abhang entlang auf 786 Meter empor. Trelli – ein winziger Ort mit Kirche und ein paar Häusern, die wie Vogelnester am Hang kleben. Noch ein paar steile Stufen, dann stehen wir vor Dina Della Schiavas (68) typisch karnischem Haus. Der Grund des Ausflugs: Dina ist eine von etwa 20 Frauen in Karnien, die original friulanische Scarpez herstellen. Das sind die butterweichen Slipper aus schwarzem Samt, bunt bestickt mit den Blumen der Region - Edelweiß, Maiglöckchen, Glockenblumen, Vergissmeinnicht. Das Besondere daran: sie sind in stundenlanger Arbeit von der Sohle bis zur Stickerei von Hand gefertigt und beide Schuhe sind augengleich. Erst mit dem Tragen schmiegen sie sich perfekt an den Fuß. „Eine blutige Arbeit“, bekennt die freundliche Friulanerin mit Lachfalten im Gesicht und deutet auf ihren rechten Mittelfinger, der nach 30 Jahren und vielen Hunderten Scarpez unübersehbare Spuren von Nadelstichen aufweist. Fingerhüte sind daher ein begehrtes Gut. Sie hat ein ganzes Rexglas voll davon.
Alte Sprache
Dina spricht die Sprache von Karnien, das alte Furlan, das nur noch wenige beherrschen. Aus ihrem Munde hören sich Scarpez wie „Schkarpetz“ an. Italienisch spricht sie nur mit den Besuchern, die den Weg zu ihr nach Trelli finden, um die begehrten Slipper zu ordern oder abzuholen. Sie kamen schon aus Belgien, Kanada, sogar von den Seychellen, berichtet Dina nicht ohne Stolz. Mittlerweile können sie auch online und auf Facebook bestellt werden, denn ein Geschäft, wo man sie kaufen könnte, gibt es nicht. „Mundpropaganda“ ist die meist genützte Verkaufsschiene.
Das Wohnzimmer von Dina und Dario dient auch zugleich als Küche und Werkstatt. Einzige technische Errungenschaft ist eine in die Jahre gekommene Singer-Nähmaschine, mit der Dina die Stoff-Oberteile zusammen näht.
Dinas Schatz
Sie schleppt eine kleine Holztruhe an, der man ansieht, dass sie viele Jahre am Buckel hat. Es ist Dinas Schatzkiste, von ihrer Mutter vererbt, in der sie die Zeugen vergangener Scarpez aufbewahrt und voll Ehrfurcht her zeigt. Sohlen aus 22 Schichten Baumwolle gefertigt und mit Hunderten Stichen und Knoten vernäht, fühlen sich an wie Leder. „Früher haben die Menschen alle Stoffreste gesammelt, daraus wurden die Sohlen gemacht. Bunte Stoffe für die Armen, weiße für die Reichen.“ Scarpez wurden fast in jeder karnischen Familie erzeugt. Sie erzählt von den „Portatrice Carniche“, den Frauen, die einst Waren im Buckelkorb (Gerla) über die Berge schleppten. Im ersten Weltkrieg waren es junge Mädchen, die in der Buckelkraxn Waffen, Stacheldraht, Munition, Lebensmittel verbargen und in der Nacht zu den Soldaten an die Front transportierten. Wie ihre Mutter und Tante. „Während sie dahin gingen, haben sie die Sohlen der Scarpez vernäht“, erzählt sie von den mutigen Frauen.
Aus der Truhe zaubert sie auch einen Paraffinklotz. Darin versenkten die Frauen die Nähnadeln, um sie gleitfähiger zu machen. „Wer kein Paraffin hatte, denn es war teuer, hat die Nadel einfach durch die Haare gezogen“, erinnert sie an harte Zeiten mit unvorstellbarer Armut.
In die Moderne
Heute sind die Bedingungen besser. Die Sohlen werden nicht mehr aus Baumwolle genäht, sondern aus Schafwollstoff und auch die Stoffe für das Obermaterial sind diverser geworden. Seide, Leinen, Samt, Jaquard, bezieht Dina von der Tessitura Carnica aus Villa Santina. Sie arbeitet ausschließlich auf Bestellung, nach Maß und Geschmack. Man könnte den Stoff auch selbst mitbringen, 50 mal 50 Zentimeter müsste er messen. Immer mehr Schuhe fertigt sie für Taufkinder oder Brautleute. In Weiß und versehen mit aufwändigen Spitzen und Stickereien.
Scarpez für den Papst
Aus weißem Damast mit eingewebten Kreuzen waren auch die Scarpez für Papst Franziskus. Größe 43. Dina überreichte sie Papa als Geschenk im Vatikan, anlässlich der Übergabe einer Krippe aus Sutrio. Den großen Zeitungs-Artikel über das Ereignis hat sie gerahmt, im Wohnzimmer hängen.
Wenn Dina auch dem alten Handwerk frönt, so kommen mittlerweile frische Ideen und Anregungen von Tochter Chiara (34), die eine Modeschule in Mailand besucht und Modedesign studiert hat. Die Models auf dem Laufsteg, die ihre Modelle vorführen, tragen mit Vorliebe Scarpez, designt by Chiara. Ihre Modelle sind modern inspiriert, haben ausgefallene Schnitte, Muster und Farben. Seit Kurzem heißt auch die Firma Scarpez Dina & Chiara. Je nach Aufwand kosten die Schuhe ab 60 Euro (dinascarpez@gmail.com, 0039043370705)
Als Dina am großen Alpini-Treffen in Udine zu Ehren ihres verstorbenen Bruders teil nahm, trug sie ihre ältesten Scarpez. Sie sind an der Spitze mit einem schwarzen Stofffleck übernäht, um die Stickerei darunter zu schonen. Schließlich mussten sie ein Leben lang halten.
Elisabeth Tschernitz-Berger