Er taumelt. Er stürzt. Wälzt sich wie scheinbar unter Schmerzen auf der roten Erde. Sein Blick ist der Welt entrückt. Zumindest jener, in der sich Schaulustige auf dem Dorfplatz von Sanguera versammeln, um der Voodoo-Zeremonie zu Ehren des mächtigen Rachegottes Kokou beizuwohnen, auf dass er die Gemeinschaft beschützen möge. „Er ist in Trance“, quittiert Cosme die besorgten Blicke. „Er ist erwählt.“ Erwählt, zwischen Irdischem und Göttlichem zu vermitteln. Immer lauter dröhnen die Trommeln, immer schriller werden die Gesänge, immer wilder wirbeln die Tänzer, die dem jungen Mann nacheifern, der in einem geweihten Strohrock in ihre Mitte zurückgekehrt ist. Ins Hier und Jetzt aber erst, wenn der letzte Ton verklungen ist.
Benin und Togo zählen zu den Wiegen des Voodoo, einer Religion, einer Lebenseinstellung. In diesen Ländern Westafrikas ist er allgegenwärtig – soll das Haus schützen, Wehwehchen kurieren, Beziehungen kitten, den Schubs auf der Karriereleiter geben. An Voodoo zu glauben, steht anderen Religionen oder der Wissenschaft nicht notwendigerweise im Weg. „Die Menschen gehen in die Kirche, aber auch zu Ritualen“, sagt Cosme, der heute schon den Gottesdienst in der roten Kathedrale der togolesischen Hauptstadt Lomé besucht hat, vor der auf dem Großen Markt täglich ein Hochamt der Farben, Klänge, Gerüche und Geschmäcker zelebriert wird. „Die Menschen gehen zum Arzt, aber auch zum Fetischeur“, sagt Cosme.
Paviankopf statt Voodoopuppe
Kakpo Atanasan ist ein Fetischeur und „ordiniert“ in einer Hütte auf dem Fetischmarkt. Den Klienten aus der Ferne verordnet er vorsichtshalber einen speziellen Talisman und verbindet mit einer Beschwörung das kleine, rötliche Stück Holz, um das eine lederne Kordel gewickelt ist, mit der Trägerin. Glimpflich davongekommen – immerhin hätte er auch zu einem Paviankopf raten können, wie sie sich draußen an den Ständen türmen. Voodoopuppen als Souvenir wird man hier nicht finden. „Das hat Hollywood erfunden“, sagt Cosme.
Herumwirbelnde, bunte Heuschober, die hat selbst Hollywood noch nicht in Szene gesetzt. Sie symbolisieren Zangbetos, „Wächter der Nacht“, die in der Dunkelheit vor dem Bösen bewahren. Unter den sich wie Kreisel drehenden Strohhäuschen stecken Männer, die bei der tropischen Hitze körperliche Höchstleistungen erbringen. Zugeben wird das von den Voodooci im beninischen Houdjohoundji aber niemand – es sei der Zangbeto, der die lebensgroßen Kostüme zu den schwellenden Klängen der Musik tanzen lässt. Zum Beweis lüften sie die Strohmatten. Tatsächlich: keine Beine zu sehen.
Palmschnaps und Pfahldorf
Einige Kilometer bevor der Mono, der Grenzfluss zwischen Togo und Benin ins Meer mündet, färbt sich das Wasser orange. Die Frauen von Adamé verarbeiten in Einbäumen, die im Wasser schwimmen, die Ernte der Palmfrüchte. Derweil tropft Sodabi, Palmschnaps, aus einer Destille, die aus zwei Petrochemiefässern besteht. Sein Alkoholgehalt ist umwerfend wie die Gastfreundschaft in dem kleinen Dorf. Stolz zeigt man gleich mehrere Schreine, die als Wächter ähnlich einer Alarmanlage funktionieren sollen. Es ist nicht Strom, der sie antreibt, es sind Gaben.
Wie mächtig der Voodoo auch sein mag, davor konnte er seine Anhänger nicht bewahren. Am Golf von Guinea liegt die Sklavenküste, von wo aus viele der Millionen Verschleppten ins Verderben geschickt wurden. Um der verheerenden Kollaboration zwischen afrikanischen Stämmen und europäischen Kolonialherren zu entgehen, flüchtete das Volk der Tofinu im 17. oder 18. Jahrhundert zum Nokoué-See und errichteten darin ein Pfahldorf. Rund 20.000 Menschen leben dort heute, auch Restaurants, Schulen und Handyshops stehen auf Stelzen.
Bootsführer Rocksah zeigt Touristen die Stadt auf dem Wasser, wie die meisten trägt er Kleidung aus bunt bedruckten Waxstoffen. Bereits kleine Kinder wissen auf den Pirogen über den See zu staken. Viele von ihnen werden zu Fischern heranwachsen und wie ihre Eltern in den immer wieder mühsam von Hand angelegten Schilfgärten ihren späteren Fang züchten.
Lebensfreunde und der Weg in den Tod
Dass viele Afrikaner ihrem Schicksal nicht entfliehen konnten, kann man in Ouidah regelrecht spüren. Die Stadt ist ein Wallfahrtsort des Voodoo: Tausende Menschen strömen jedes Jahr zum dortigen Festival, im Python-Tempel – gleich gegenüber der katholischen Kathedrale – werden heilige Schlangen verehrt, im heiligen Wald soll sich König Kpassè auf der Flucht in einen Iroko-Baum verwandelt haben.
Ouidah war aber einst auch ein Zentrum des Sklavenhandels. Auf dem zum Gedenken neu gestalteten Platz Chacha wurden die Gefangenen wie Waren ersteigert, ihr Schicksal besiegelte der knapp vier Kilometer lange Marsch entlang der Sklavenroute zum Atlantik, wo heute die „Pforte ohne Wiederkehr“ mahnt. Bevor sie auf die Schiffe verladen wurden, passierten sie den „Baum der Wiederkehr“. „Wer noch Kraft hatte, umrundete ihn drei Mal“, erzählt Cosme. Das Ritual sollte ihre Seelen nach dem Tod in der Fremde in die Heimat zurückgeleiten. Denn drei ist eine heilige Zahl des Voodoo.