Urgemütlich ist es in der „Bar al Vecchio Tram“, die die rührige Dame des Hauses – Romy – in den vergangenen Jahren zu einem beliebten Treff und Veranstaltungsort für heimische Künstler gemacht hat. Vermutlich nicht ganz von ungefähr: Hier wurde nämlich schon 1487 der bereits zu seinen Lebzeiten sehr erfolgreiche Renaissancemaler Giovanni (Ricamatore) da Udine geboren. Er war unter anderem Mitarbeiter des berühmten Meisters Raffael und Auftragnehmer an Prestigeplätzen vom Vatikan bis nach Florenz. Zu dieser Zeit erfreute sich Udine bereits seit knapp 250 Jahren als Residenzsitz der Patriarchen von Aquileia großer kultureller und spiriteller Bedeutung und rund 70 Jahre steht die Stadt bereits unter venezianischer Herrschaft, die noch gute 310 Jahre andauern sollte.
Venezien in Friaul
„Udine ist die venezianische Stadt von Friaul“, lässt die charmante Grande Dame unter den friulanischen Guides, Giovanna Tosetto, – als hier Geborene ebenfalls „da Udine“ – stolz wissen. Die Spuren der Vergangenheit unter der Macht der Serenissima sind augenscheinlich, sobald man sich von den vielen verlockenden Schaufenstern auf Augenhöhe losreißt. Neben Palazzi mit typisch venezianisch-gotischen Fenstern versprüht spätestens die Piazza Libertà Lagunenstadt-Flair. Besonders der Glockenturm, übrigens ein Werk von Giovanni da Udine, und der geflügelte Markuslöwe versetzen hier in die Szenerie des berühmten Markusplatzes von Venedig.
Tiepolo für alle
Hinter den Fassaden verblüfft in Udine venezianische Malkunst in höchster Vollendung. Mit Unterstützung der wohlhabenden Adelsfamilie Manin ließ man sich im 18. Jahrhundert den Innenraumumbau des Doms im barocken Stil etwas kosten. Man beauftragte damit neben der Architektengröße Domenico Rossi auch das junge Malergenie Giambattista Tiepolo aus Venedig. „Die Schönheit seiner Malerei fühlt man einfach, auch wenn man kein Kunsthistoriker ist“, schwärmt Giovanna vor der von ihm voller Engel und Putten gestalteten Sakramentskapelle.
Die Virtuosität des „Malers des Lichts“ machten sich auch die Patriarchen Dionisio und dessen Neffe Daniele Dolfin – er war der letzte „seiner Zunft“, bevor 1751 unter Maria Theresia Erzbischöfe auf den Plan rückten – zunutze. Für Freunde der Kunst ist der heute noch als „Palazzo Patriarcale“ bezeichnete Sitz des Erzbischofs, der zugleich das Diözesanmuseum und die Tiepolo-Galerien beherbergt, Wonne pur.
Schmerzvergessen verrenkt man gerne seinen Hals, um beim Ersteigen der ebenso von Rossi erbauten Prunktreppe Tiepolos üppig farbigen Engelssturz an der Decke zu bewundern. Dies tut man auch bereitwillig für das Deckenfresko „Triumph der göttlichen Weisheit“ aus der Hand seines venezianischen Zeitgenossen Nicolò Bambini. Es thront in der atemberaubenden Bibliothek über 10.000 Büchern. Wie eine Offenbarung – wie recht Giovanna doch hat – präsentiert sich dem Besucher in der Tiepolo-Gästegalerie der gewaltige 1727/28 entstandene Freskenzyklus mit acht alttestamentarischen Szenen. Man möchte dem damals wohl am Zenit seiner Schaffenszeit stehenden 31-jährigen Meister, der einen als Selbstbildnis in der Figur des Jakobs unmittelbar anblickt, einfach nur danken.
Wie beständig sein meisterhaftes, einzigartiges Schaffen ist, darf man sich bei seinem Alterswerk im „Oratorio della Purità“ vergegenwärtigen. In Windeseile von nur drei Wochen soll er das himmlische Deckenfresko gemalt haben. An den Wänden erfreuen Wandbilder in Grisaille-Technik als Werke seines Sohnes Giandomenico.
Versteckte Kunstschätze
Förmlich versteckt schlummern im Herzen der Altstadt auch Kunstschätze neueren Datums. Viele mögen bereits an der unscheinbaren Fassade der aus dem 16. Jahrhundert stammenden „Casa Cavazzini“, dem heutigen Museum für moderne und zeitgenössische Kunst, vorbeigelaufen sein. Aber schon das Gebäude selbst – mit wunderbar freigelegten Fresken des Udineser Künstlers Afro Basaldella aus den 1930er-Jahren – ist schon ein Erlebnis.
Und Giovannas letzter Tipp: „Nach all der Kunst geht man am besten in eine der zahlreichen Bars, um einen Tajut, ein klassisches friulanisches Stehachterl, miteinander zu trinken.“
Regina Rauch-Krainer