Er ist einer der berühmtesten Zen-Tempel der Welt. Aber komplett im Augenblick zu leben, das will im Ryoan-ji in Kyoto mit seinem Steingarten einfach nicht gelingen. Vielmehr kreisen die Gedanken wie die Rechenspuren im Kiesbett um dessen moosbewachsene Steine.
Gerade schallte noch das Vogelzwitschern aus den Lautsprechern der U-Bahn in Tokio, schoben sich Menschenmassen über die Megazebrastreifen an der Kreuzung in Shibuya, wimmelte es nur so von menschgewordenen Mangafiguren im Szeneviertel Harajuku, schon rast der Shinkansen am schneebedeckten Fudschijama vorbei, knapp 300 km/h zeigt der Geschwindigkeitsmesser, der Jasmintee im Becher schlägt nicht einmal die kleinste Welle. „Nicht umsonst verneigen sich manche Fahrgäste vor dem Einsteigen“, sagt Tourguide Mitsuko, die uns an Bord gelotst hat. Der Schnellzug hält in Kyoto, womit auch das rasende Tempo der Eindrücke nachlässt, nicht aber deren Eindrücklichkeit.
Das alte Japan erleben
Die einstige Kaiserstadt gilt als kulturelles Zentrum Japans, das sich seine Authentizität auch deshalb bewahren konnte, weil es während des Zweiten Weltkriegs von Bombardierungen verschont blieb. Und so sind gerade die historischen Viertel Higa-shiyama und Gion mit ihren restaurierten Holzhäusern gespickt mit Stätten, die zum Welterbe der Unesco zählen.
Umso spannender ist der Kontrast zu den Hallen mit den blinkenden Spielautomaten oder Restaurants, in denen der Tisch zugleich riesiger Touchscreen zum Bestellen ist. Keinen offensichtlichen Einzug hält Hightech in die Ochaya von Gion, hölzerne Teehäuser und Wohnstätten der Geishas, die als Gesellschafterinnen ihre Gäste unterhalten. Hier künden immer noch leuchtende Lampions von den Öffnungszeiten.
Wandelnde Postkartenmotive
Während kunstvolle Kimonos für Geishas Berufskleidung sind, verkleiden sich andere Japanerinnen für die besten Bilder bei Sehenswürdigkeiten gerne im Leihkimono als wandelndes Postkartenmotiv. Die Schar bunter Bildpunkte begleitet einen zum Kinkaku-ji-Tempel, dessen obere Stockwerke nicht nur golden, sondern tatsächlich von Hand vergoldet sind.
Sie tanzen auch durch den Bambushain von Arashiyama, wo sie vor dem blaugrünen Hintergrund der turmhohen Hölzer besonders hell leuchten. Alleen bilden auch die Tausenden orangen Torii, sowohl real als auch symbolisch der Eingang zum Shinto-Schrein Fushimi Inari-Taisha.
„Osutoria?!“, versichert sich der Mann am Nishiki-Markt, der zwischen fermentiertem Gemüse, Meeresgetier auf Spießen und Tofu jeglicher Fasson plötzlich lautstark wie textsicher – in phonetischem Deutsch – Beethovens „Ode an die Freude“ anstimmt. Zwar geografisch knapp vorbei an Österreich, aber treffsicher berührend. Wir verneigen uns dankend, lachen herzlich miteinander. Und dann gelingt es – man ist ganz im Augenblick.