Am Anfang stand der Fiat-Bus. Ein Bussi eigentlich: der Fiat 238 E, klein, fein – und schwer. Ein Tischler hatte das Gefährt zum Salon umgebaut. Mit Echtholz. Das schlug sich tonnenweise aufs Gewicht.
Wir waren jung, das Auto nicht ganz taufrisch, was es uns alsbald durch den einen oder anderen unfreiwilligen Stopp in mehr als beschaulicher Landschaft bewies.
Raus ins Land, rauf auf den Berg, runter ans Meer, irgendwann waren wir immer am Ziel. Zeit spielte keine Rolle, die Freiheit war der Reiz.
Die Eingangsprüfung
Es war der erste Test für uns selbst, die Eingangsprüfung quasi: Waren wir für dieses Leben auf nicht viel mehr als zwei mal zwei Metern gemacht? Bereit für die Freiheit auf vier Rädern, die den Alltag in eine Blech-Zelle presst?
Wir waren bereit. Vor allem an den schönen Tagen. Gelebt wurde draußen, im Bus nur geschlafen. Der Regen kam irgendwann auch im Süden, und die Enthaltsamkeit mit ihm. Gekocht wurde nämlich im Freien, der Herd nach draußen ausgeklappt. Bei Regen gab’s Rohkost und kalte Speisen.
Doch der Samen war gesät, und die Saat ging auf: Die neue Freiheit wurde zur Sucht. Freiheit von Terminen, Freiheit von Planung, Freiheit von Essenszeiten, Freiheit von Bekleidungsvorschriften – das Hotel wurde zur verschmähten Enge, die der Luxus der servierten Mahlzeit nicht zu weiten vermochte.
Dann der VW, ein T 3. Kein Bussi, sondern ein Bulli, zumindest ein Enkel des legendären T 1 der 50er-Jahre. Baujahr 1991, und noch immer aktiv: 30 Jahre jung wird er im September. Ein Facelifting in der Lackiererei; diverse Ersatzteile, immer seltener im Original; ein Außenspiegel, der erst auf Position blieb, nachdem der schlaue Tipp aus dem Internet befolgt wurde: Man nehme ihn auseinander, wälze das Kugelgelenk zuerst in Öl und dann im Sand, und schon bleibt die Aussicht stabil.
Die Reifeprüfung
Die Reifeprüfung: Die Freiheit mit vier Betten – und zwei Kindern im Gepäck. Das große Ziel: Das Nordkap. Waren die Kinder reif für die große Fahrt? Sie waren. Oder wurden es auf dem Weg dorthin. Das mobile Home war ihr Castle. Auch der Dreijährige fand mitten in der Nacht vom hundert Meter entfernten Klo zurück ins Bett. Und der Sechsjährige wurde zum Wikinger, der an jedem Ufer ein Tipi hinterließ.
Die Reisegeschwindigkeit passte sich den Spiel- und Klopausen an, die Stopps bemaßen sich nach den Freiräumen für die Kinder. Kleine Fleißaufgabe für die Eltern: Nacht für Nacht musste das Vorzelt aufgebaut werden, denn nur der Nordländer schnuppert in den windigen Nächten am Polarkreis gerne Außenluft. Und drin saß man mehr auf- als nebeneinander, wenn die Zeit vor dem nächsten Guss nicht für den Aufbau des robusten Stoff-Salons reichte.
Wir waren immer noch bereit. Für die Freiheit, für das Abenteuer, für das Nicht-Genau-Wissen, wohin es uns am nächsten Tag verschlägt. Viele Jahre später fanden sogar wir den Weg ins Hotel. Die wichtigste Frage der Kinder: Wie viele Sterne hat das Hotel? Aber die Sehnsucht nach dem freien Blick auf die Sterne am Himmel schlug auch in ihren Seelen Wurzeln.
Das "echte" Wohnmobil
Eine neue Epoche kündigt sich für uns an: der Umstieg auf ein „echtes“ Wohnmobil. Bulle statt Bulli. Die Krönung. Ein richtiges WC statt Klapp-Not-Klo.
Eine Dusche, innen wie außen.
Der Extra-Stauraum als Luxusalternative zum Bett, das bis zum heutigen Tag ein Doppelleben als bis zum Dach vollgestopfte Ablage führt, von der nach jedem Stopp das Gepäck in Richtung Fahrerkabine gehievt werden muss, um die Liegestatt freizulegen.
Der Traum des mobilen Wandlers durch eine wanderbare Welt. Bleiben können, wo man will (und darf), unabhängig von Wasser und Strom.
Schlafen wie daheim, in einem Bett, das den leidgeprüften Rücken nicht in eine durch die Enge bedingte Bewegungslosigkeit zwingt.
omöglich (vielleicht aber auch nicht) eine Sat-Schüssel, die während Monate währender Pilgerschaft durch fremde Lande die ZiB in die Heimat auf vier Rädern bringt.
Die Sehnsucht bleibt und treibt
Was bleibt und was treibt, ist die Sehnsucht nach der Freiheit:
Die Entkoppelung von der heimatlichen Scholle mit dem Ziel, fremde Äcker zu pflügen.
Der Abschied von der inneren Uhr, die erbarmungslos den Takt für den Tagesablauf schlägt.
Die Verbrennung des Kalenders, der die Abhängigkeit von den Terminen anderer illustriert.
Das Atmen unter freiem Himmel, die Wahrnehmung des Seins mit allen Sinnen, in Kombination mit einem Rückzugsort mit festem Dach.
Das Wohnmobil wurde auf dem Markt zum seltenen Gut. Viele wurden in der Enge der Pandemie von der Sehnsucht nach Freiheit erfasst. Manche lässt dieses Virus nie mehr los.
Claudia Gigler