Der blanke Fels blickt einem entgegen, es tropft von den Wänden und niemand würde sich wundern, sollte in dieser sporadisch beleuchteten – Straßentunnel genannten – Höhle plötzlich ein brüllender Bär auftauchen. Andere Tunnel sind zwar modern ausgebaut, führen dafür aber – und dies ist kein Alzerl weniger aufregend – tief unter das Meer und verbinden eine Insel mit der nächsten. Kurz und gut: Das (Tunnel-)Reisen durch Norwegen ist ein Spektakel für sich.
Apropos Spektakel: Wer zur südlichsten und artenreichsten Vogelinsel Norwegens gelangen will, muss mindestens ein halbes Dutzend dieser Tunnel und Brücken überwinden. Auf der Insel Runde angekommen, ist man nicht nur Gast eines gewaltigen Naturschauspiels, sondern auch klar in der Unterzahl: Das im Osten sanft ansteigende und auf der westlichen Seite schroff abfallende Eiland, das mit seiner Topografie an die Färöer Inseln erinnert, ist Jahr für Jahr die Heimat von mehr als 100.000 Paaren der stets adrett aussehenden Puffins.
Neben diesen Papageitauchern schlagen hier auch Kormorane, Eissturmvögel, Tölpel, Seeadler oder Möwen ihr Brutlager auf. Macht unter dem Strich rund 500.000 Vögel auf der 6,2 Quadratkilometer kleinen Insel, die gerade einmal 100 menschliche Bewohner hat.
Der Weg zu den nicht zu übersehenden Vögeln ist kinderfreundlich: Über gut ausgebaute Wege geht es von der Küste, und unbedingt mit Ferngläsern ausgestattet, rund 300 Höhenmeter hinauf bis zu den Aussichtsplätzen. Wer auf diesen längeren Spaziergang keine Lust hat, für den ist vielleicht eine Schiffstour das Richtige: Auch vom Boot aus lassen sich die mehr als 200 Vogelarten bis Mitte August wunderbar beobachten.
Wem beim Wort Ornithologie die Füße einschlafen, findet auf Runde womöglich an der Schatzsuche Gefallen: 1725 zerschellte hier das schwer beladene niederländische Ostindienschiff „Akerendam“ auf seiner Jungfernfahrt. Knapp 60.000 Gold- und Silbermünzen wurden Anfang der 1970er aus dem Wasser getaucht, der eine oder andere Silberling dürfte am Strand von Runde noch darauf warten, entdeckt zu werden.
War anfangs hier zu lesen, Reisen innerhalb Norwegens sei spektakulär, so sei an dieser Stelle präzisiert: Zuweilen ist das Vorankommen in der Wikinger-Nation auch spektakulär langsam. Ein Vogelflug zwischen der Insel Runde und der Fischerinsel Godøy mit seinem bezaubernden Leuchtturm Alnes wäre gerade einmal 20 Kilometer weit. Mit dem Auto sind hingegen schon einmal zweieinhalb Stunden Fahrtzeit einzuplanen. Dennoch lohnt auch dieser Weg: Bildhübsch lädt der in grüne Wiesen gebettete Leuchtturm zur Aussicht ein, aber mehr noch zum Verweilen: Besonders in der Dämmerung entfaltet dieser Ort seinen Zauber. Wer ein friedliches Fleckchen Erde sucht – hier ist es.
Es ist Zeit, in die nahe gelegene Urbanität zurückzukehren. Kaum jemand kommt nach Ålesund und niemand verlässt die Stadt, ohne die Grundzüge der prägendsten Stunden dieses Ortes zu kennen: Eine umgefallene Karbidlampe in einer Konservenfabrik hatte in der Nacht auf den 23. Januar 1904 das Schicksal der Stadt besiegelt. Schutt und Asche – das Feuer zerstörte praktisch die gesamte Innenstadt – bildeten schließlich das Fundament für das heutige Jugendstil-Antlitz, das Ålesund zu einem touristischen Hotspot werden ließ und es optisch von anderen Städten Skandinaviens abhebt.
Zweifellos einen Narren an Ålesund (und dem ganzen Land) gefressen hat sein vielleicht bekanntester Besucher: Kaiser Wilhelm II. trug mit privater Großzügigkeit maßgeblich dazu bei, Ålesund nach dem großen Feuer wieder aufzubauen. Die Stadt dankte es seinem kaiserlichen Helden mit einem Obelisken in seiner Innenstadt. Dazu muss man wissen: Der deutsche Kaiser pflegte mit „Wilhelm I.R“., zu unterschreiben – Spötter übersetzten das Kürzel mit „Immer Reisender“. „Fast immer nach Norwegen“-Reisender hätte es womöglich genauer getroffen.
Freilich, wer in der Provinz Møre og Romsdal unterwegs ist, wird an zwei Touristenhotspots schwerlich vorbeikommen: Der Geirangerfjord, diese hochfrequent fotografierte Fortsetzung des Sunnylvsfjords, zählt für viele zu den Fixpunkten einer Norwegenreise. Negative Begleiterscheinungen, Stichwort Overtourism, blieben leider nicht aus: Wendende Kreuzfahrtschiffe drückten in dem herrlichen Fjordabschluss auf die Luftqualität, Tausende Tagestouristen verlieren den Eindruck, hier Einmaliges erleben zu können.
Ähnlich gestaltet sich die Situation einige Kilometer nördlich, wo sich der Trollstigen in elf spektakulären Kehren den Berg hinauf windet: Hunderttausende Autofahrer sind es jährlich, die sich dieses Fahr- und Aussichtserlebnis nicht entgehen lassen wollen.