Seit dem Jahr 1976 bezieht kein Mensch mehr Quartier im Südbahnhotel, dafür ist die Improvisation Dauergast. Sagt Günter Krausner, und der muss es wissen.
Obwohl sie verzaubert, diese Komposition aus felsigen Abstürzen, smaragdgrünen Wäldern und verspielten Villen: Am Pinkenkogel, in Südlage, ragt der steinerne Riese aus der Umgebung und begründete hier vor 140 Jahren die Sommerfrische. Von A wie (Peter) Altenberg bis Z wie (Stefan) Zweig reiste die Wiener Gesellschaft in zweistündiger Fahrt auf der Ghegabahn an.
„Und die Komtesse schreitet, fliegt, schwebt, schlängelt sich über die Terrasse“, notierte Altenberg in „Semmering 1912“.
65 Vorstellungen im Kultursommer
Die folgenden Jahre waren turbulent und todbringend. Der Glanz setzte Patina an. Das Südbahnhotel wäre gerne ein Hotel geblieben. Trotzdem oder gerade deshalb lebt das Haus. Der morbide Charme macht es zum Drehort, zur Fotokulisse, zur Bühne für den Kultursommer Semmering und das „Menü a la Belle Epoque“, ein Dinner im Stil von damals. Vom 10. Juli bis 6. September erwecken Schauspieler und Musiker das Fin de Siècle in 65 literarisch-musikalischen Vorstellungen.
Krausner gehört zu den kundigen Seelen in diesen Jugendstilmauern. Der Mann ist im Kurhaus aufgewachsen, einer anderen berühmten Semmeringer Adresse. Seine Mutter arbeitete dort, sein Vater war der Hausmeister. Von Beruf Installateur, heuerte Krausner 1994 im Südbahnhotel an. Da hatte es die Klinik Bavaria des Deutschen Rudolf Presl gekauft, um daraus ein Reha-Zentrum zu machen. Presl ließ das Dach neu decken, Terrassen und Installationen erneuern, Schachte für Bettenlifte bauen. Dann scheiterte der Plan an mangelnden Kassenverträgen.
So viel kostet die Renovierung
Ein Käufer wird gesucht. Der Preis von elf Millionen Euro dürfte potente Investoren nicht abschrecken. Eher schon, dass weitere 60 Millionen Euro nötig wären, um die Renovierung stilgerecht abzuschließen. Es kommen Interessenten, und wie man hört, einige mehrmals. Unterschrieben hat noch niemand.
So wird weiter improvisiert. Hinter der Tür mit der Aufschrift „Direktion“ ist jetzt das Büro der drei Angestellten, die das Haus in Schuss halten und die alten Möbel hüten. Als inoffizieller Guide hat sich Krausner auch mit den Geschichten vertraut gemacht. „Ich kenne hier jeden Winkel und jede Leitung“, sagt er.
"Passagierzimmer"
Je länger man durch Zimmerfluchten, große Säle und heimelige Rückzugsorte wandelt, desto klarer wird, dass ein neuer Eigentümer dieses Komplexes auf den Mann nicht wird verzichten können. Zu allem kennt Krausner Entstehung und Funktion. Am Anfang, 1882, hieß das Haus übrigens „Hotel Semmering“ und hatte 60 „Passagierzimmer“.
Dann wurde 50 Jahre lang ausgebaut – auf 350 Zimmer und allen erdenklichen Luxus. 1926 entstand hier unter anderem der erste Golfplatz Österreichs. Die Konkurrenz aus Panhans, Kurhaus und Grand Hotel Erzherzog Johann, das 1945 abbrannte, war scharf.
In der letzten touristischen Blüte des Semmering war der Ort besser besucht als Bad Ischl oder Kitzbühel: 1937 wurden 240.000 Nächtigungen bei 1816 Einwohnern gezählt, davon ist man jetzt meilenweit entfernt. „Wer Wien besucht, besucht auch den Semmering“, frohlockte die Werbung einst.
Kurhaus und Panhans
So sehr Krausner schwärmt, dass der Blick von der Terrasse bis zum Neusiedler See reicht, die Wiener streben schon lange nach entfernteren Reisezielen. Die Folge ist, dass aktuell keines der großen Hotels von früher in Betrieb ist. Hoffnung herrscht, seit der Grazer Hotelier Florian Weitzer 2019 das Kurhaus kaufte, um es als „Grand Semmering“ zu revitalisieren. Die kasachischen Vorbesitzer, erzählt man in der Region, seien nie dagewesen und hatten ergo nichts weitergebracht. Ein Fragezeichen schwebt über dem Panhans, das in der Hand eines schweizerisch-ukrainischen Konsortiums ist; auf die Erfüllung hochtrabender Pläne wird seither gewartet.
Die Region, meint Krausner, könnte vom Klimawandel profitieren, denn „hier ist es im Sommer angenehm kühl“. Neben dem vielen Sportangebot (für Mountainbiker und Berggeher) positioniert sich der Semmering wie früher auch beschaulich. Davon zeugen sechs Museen zwischen Mürzzuschlag, Neunkirchen und Gloggnitz, ein Schaubergwerk und nicht zuletzt der bis zu 21 Kilometer lange Bahnwanderweg entlang des Weltkulturerbes. Es war das Wunderwerk Ghegabahn, das den Aufschwung des Semmering im Fin de Siècle erst möglich gemacht hat. Die gehobene Gesellschaft von damals hätte ohne die jahrelange harte Arbeit von 20.000 Männern und Frauen kein so einzigartiges Ensemble vorgefunden.
Wenn einmal der Bahntunnel fertig ist (2027?), werden die 16 Tunnels und 17 Viadukte selbst zur Touristenattraktion. Man wünscht dem Semmering eine neue „Belle Epoque“.