Belastbare Ausreden gibt es beim Winterwandern keine. Bei Ski- oder Bergtouren kann man die zu erwartende Anstrengung und das erforderliche Lawinen- und Wetterwissen als „Leider nein“-Argument vorschieben. Beim Skifahren, Schneeschuhwandern, Langlaufen oder Rodeln wirkt das notwendige Spezialgerät als limitierender Faktor für spontane Aktivität. Das alles gilt hier nicht. Winterwandern geht immer. Und es kann auch jeder.
Vorkenntnisse? Braucht es keine. Ausbildung? Ebenso wenig. Spezielle Ausrüstung? Nicht notwendig. Kosten? Keine. „Barrierefreier Schneespaß“ nennen es die einen, „Demokratisierung des Wintersports“ die anderen, wobei damit aber auch das eine Ausdauerstufe höher angesiedelte Selbstverständnis mittransportiert wird: Wir reden hier über (gemütlichen) Sport, nicht über lapidares Spazierengehen.
Beides lässt sich beispielsweise rund um Seefeld in Tirol machen. Aber der richtige Alltagsabenteurer wagt sich weg vom Gehsteig, hin zu den gut beschilderten Wanderwegen, die die Region zwischen Wetterstein- und Karwendel-Gebirge wie ein zartes Netz überspannen.
Hat man bei Tagestouren erst einmal Blut geleckt, kann man sich in der Olympia- (1964 und 1976) und Weltmeisterschaftsregion (2019) auf dem Hochplateau nordwestlich von Innsbruck auch an die „Expeditionsversion“ wagen: Winterweitwandern. Das „weit“ bedeutet hier 54 Kilometer, aufgeteilt auf vier Tagesetappen.
Das Ziel mag zwar dasselbe sein wie beim Spazierengehen: eine Rechtfertigung (und/oder Ausrede) zu finden für die anschließende Kalorienrallye in einer der in die verschneiten Winterwälder gestreuten Hütten. Aber die dem Wandern implantierte Dimension ist eine Spur wuchtiger – wie die Hohe Munde, jener 2662 Meter hohe, panoramadominierende Mugel mit seinem prägnanten Doppelgipfel im Mieminger Gebirge.
Gestartet wird in der Leutasch – das, was man in der Brauchtumsklimatologie ein „Schneeloch“ nennt. Am zweiten Tag serviert die Natur Vollwertkost fürs Auge. Das Wildmoostal, der Lotten- und Möserer See und die Wälder dazwischen machen es einem schwer, auf das Wort „idyllisch“ zu verzichten. Von Mösern geht es wieder Richtung Norden hinauf zur Wettersteinhütte (inklusive Hüttenlager) und am vierten Tag zurück nach Weidach.
Immer dabei: das Knirschen des Schnees unter den Schuhen, das dem gleichmäßigen Dahinwandern auf den sanft kupierten Wegen und Waldsteigen etwas Meditatives verleiht. Der Ausblick auf Berge und Bäume im Winterkleid wirkt wie eine Entspannungsmassage für bürogestresste Seelen. Ausrede, es nicht zu versuchen? Gibt’s keine.
Klaus Höfler