Warum fliegt man als Österreicher zum Skitourengehen nach Afrika?“ Diese Frage beschäftigt bei der Abreise nach Marrakesch nicht nur die anderen Fluggäste, sondern auch unser vierköpfiges Team. Der Grund ist aber schnell erklärt: Es ist die Suche nach neuen Herausforderungen und die Begeisterung, sie in einem fremden Land, das nicht gerade für seine verschneiten Hänge bekannt ist, zu finden. Der Atlas und seine 4000er in Marokko haben sich so fest in unsere Köpfe eingebrannt, dass nicht mehr die Frage im Raum stand, ob es gemacht wird, sondern nur mehr wann.
Auch am Flughafen von Marrakesch müssen wir uns erklären, und zwar für das Mitführen von Eispickel, Harsch- und Steigeisen gegenüber den Behörden. Unter regem Kopfschütteln und offenkundigem Unverständnis lassen sie uns schließlich einreisen. Das vorab organisierte Taxi wartet vor dem Ausgang. Der Chauffeur, offenbar schon eher mit Skitouristen vertraut, spannt unser Gepäck aufs Dach seines Wagens.
Auf dem Weg aus der Stadt tauchen nach einer kurzen Weile schon die ersten Gebirgszüge am Horizont auf. Der Atlas scheint zum Greifen nah. Vorbei an zahlreichen Berber-Dörfern, die wie in einem „Herr der Ringe“-Film in den Fels gebaut sind, schrauben wir uns Serpentine für Serpentine in die Berge.
Während die Ski auf dem Dach rattern, tut sich im Hintergrund unser erster Halt auf: Imlil. Ein Bergdorf auf etwa 1800 Meter Seehöhe, in dem wir die erste Nacht verbringen werden. Unser Gastgeber Hamid nimmt das Team mit dem obligatorischen Minztee und der ersten von noch unzähligen folgenden Portionen Couscous in Empfang. Ein Esel für den nächsten Tag wird geordert, wir schlendern gemütlich durchs Dorf und kaufen Datteln für die nötige Ration Zucker. Den kann man in der Höhe gut brauchen.
Nach einer kalten Nacht in Hamdis Atlas Mazik Lodge wartet der Esel bereits im Sonnenaufgang auf uns. Wir schultern unsere Rucksäcke, laden Skischuhe und unsere „Bretter“ auf das Tier. Sanft ansteigend geht es über eine kaum befahrene Straße hinaus aus der Ortschaft. Die Besiedlung wird dünner, der Schnee immer mehr. Das Klappern der Hufe hallt an den Berghängen wider. Mit den letzten Häusern endet auch die befestigte Straße und ein Wanderpfad tut sich auf - nach einer etwa zweistündigen Etappe haben wir dann unseren nächsten Stopp erreicht.
Dort, wo der Schnee die Steine großflächig bedeckt, stehen ein paar Lehmhütten. Für unseren Esel sei hier Schluss, meint Hamid und drückt uns das Gepäck in die Hand. Um mit den Ski loszugehen, ist es hier definitiv noch zu steinig, wir schultern also unser Hab und Gut. „Von hier an gibt es dann bis zur Hütte nichts mehr“, versichern uns die Bewohner. Also gar nichts mehr.
Die Luft wird dünn
Die Sonne knallt auf die Köpfe, während wir beim Aufstieg die eine oder andere Touristengruppe hinter uns lassen. Im kurzen T-Shirt, jeder mit gut 20 Kilogramm Ballast auf dem Rücken, geht es etwa eine Stunde steil bergan, bis wir die Ski endlich nicht nur schleppen, sondern auch anschnallen können. Die letzten Siedlungen, die wir passiert haben, sind von hier oben nur mehr kleine Punkte weit unten.
Langsam beginnt sich aber nicht nur die Anstrengung, sondern auch die Höhe bemerkbar zu machen: Die Schritte werden träge, die Atmung intensiver, der Puls immer schneller. Und während schon die ersten weißen Hänge bewundert werden, der Schnee immer mehr an Tiefe gewinnt und die Kälte ordentlich zulegt, steigt auch bei den Sportlicheren unter uns die Hoffnung, dass das Ziel bald kommen möge.
Nach anstrengenden sechs Stunden auf den Beinen dann endlich der erhoffte Lichtblick: In der Ferne, in einem malerischen Hochtal gelegen, taucht die Silhouette des Refuge du Toubkal auf. Unsere Bleibe für die nächsten Tage und guter Ausgangspunkt für Skitouren im Atlas. Die erste und wohl wichtigste Etappe ist geschafft. Im Schlaflager gibt ein Tscheche am prasselnden Feuer Tipps, beschreibt einige der umliegenden Skitouren und wie man diese am besten meistern könne. Mit einer ordentlichen Portion Couscous und mehreren Litern Tee decken wir uns für die erste Nacht auf 3200 Metern ein, nur um bald im wohlverdienten Tiefschlaf zu versinken.
Die 4000er winken
Der nächste Morgen bringt das versprochene Schönwetter. Auf dem Plan steht der Gipfel des Akioud mit seinen 4045 Metern - ein erster Härtetest. Der Aufstieg gestaltet sich großteils als schaffbare, wenn auch herausfordernde Aufgabe. Spitzkehre um Spitzkehre schrauben wir uns durch die Felskluften des Atlas immer weiter Richtung Ziel. Etwa hundert Meter unter dem Gipfel legen wir ein Skidepot an und steigen das letzte Stück mit den Steigeisen über die Westflanke hinauf. Der Blick von hier oben überwältigt mit einer unbezahlbaren Aussicht.
Über die Aufstiegsroute geht es wieder bergab - wir ziehen die ersten Spuren im viel gerühmten „Afrika-Firn“, zurück zu unserer Herberge. Die Generalprobe für den Aufstieg auf Marokkos höchsten Gipfel, den Jebel Toubkal, ist geglückt.
Diese Tour auf den „König“ des Hohen Atlas gestaltet sich tags darauf sogar wesentlich einfacher als ursprünglich angenommen. Zwar ist der Weg ein weiter und in dieser Höhe auch ein anstrengender, dennoch sind die Pfade - übrigens auch ohne Ski gut schaffbar - von den Bergsteigern ziemlich stark ausgetreten und führen meist sanft über die Hänge hinauf. Nach einem vierstündigen Aufstieg leuchtet uns ein pyramidenförmiges Metallgestell entgegen: der höchste Gipfel Marokkos.
Winter über der Wüste
4167 Meter über dem Meeresspiegel gelegen, überstrahlt er den gesamten Atlas, gibt den Blick in die unendlich wirkenden Weiten Afrikas frei: Im Osten beginnen die Vorboten der Sahara ihre Dünen zu ziehen und vom Westen schickt der Atlantik eine erfrischende Brise zu uns.
Wieder ein Traumtag, wieder perfekte Fernsicht. Und wieder eine Abfahrt, wie man sie sich als Freerider wünscht - hinab über zahlreiche Steilrinnen und Felsvorsprünge der Hütte entgegen. Nach fünf Tagen Touren in luftiger Höhe steigen wir wieder ab ins Tal. Marrakesch hat uns wieder.
Nun sind es die österreichischen Touristen, die unser Gepäck am Flughafen in der Warteschlange vor dem Einchecken schief beäugen. Aber wir erklären uns nicht mehr. Jetzt wissen wir, wie viel eine etwas umständliche Reise mit Skigepäck in den Hohen Atlas wert ist. Auch wenn das der ein oder andere nicht verstehen mag.
Moritz Linni