Passagiere des Lufthansa-Konzerns müssen sich beim Einstieg ins Flugzeug auf ein neues Verfahren einstellen, mit dem die Fluggesellschaft wertvolle Zeit sparen will. "Zwei Minuten hören sich erst einmal nicht viel an, sind aber schon rund zehn Prozent des Boarding-Prozesses", sagt Vicky Scherber, die seit einem guten Jahr an dem neuen System tüftelt.
Nebenbei sollen mit der neuen Methode die stressigen Konflikte minimiert werden, die beim Gerangel um den richtigen Sitz und ausreichenden Platz für das Handgepäck entstehen.
Einsteigen nach "Wilma"
Im Grundsatz werden die Passagiere künftig danach aufgeteilt, ob sie einen Platz am Fenster, in der Mitte der Sitzreihe oder am Gang gebucht haben. Bei amerikanischen Fluggesellschaften, aber auch bei Air France oder British Airways lautet die Reihenfolge beim Einsteigen längst "Window-Middle-Aisle", liebevoll auch "Wilma" abgekürzt. Der Lufthansa-Konzern will dieses Konzept ab Donnerstag (7. November) auf Europa-Flügen seiner Netz-Gesellschaften Lufthansa, Austrian Airlines (AUA) und Swiss über den Winter einführen.
Auf der für Wenigflieger ohnehin schon komplexen Bordkarte werden die Lufthansa-Gesellschaften neben Abflug-Gate und Sitzplatz-Nummer eine weitere Rubrik eintragen, nämlich die Boarding-Gruppen 1 bis 5.
Unverändert dürfen zunächst Familien mit kleinen Kindern und hilfsbedürftige oder mobilitätseingeschränkte Gäste einsteigen, sagt Scherber, die bei der Lufthansa-Group für die Passagier- und Gepäckprozesse verantwortlich ist.
Gangsitzer zum Schluss
Dann kommen in den Gruppen 1 und 2 die privilegierten Stammkunden (Senatoren, Hons) sowie Passagiere mit teuren Business- oder Ecoflex-Tickets, unabhängig von der gebuchten Sitzposition. Gruppe 3 meint dann die Economy-Passagiere mit Fensterplatz, Gruppe 4 die Mitte und schließlich die 5 für Menschen, die am Gang sitzen. Diese Plätze sind besonders bei groß gewachsenen Menschen beliebt.
Familien, Paare und Gruppen würden zum Einsteigen aber nicht getrennt, versichert die Lufthansa-Expertin Scherber. Die Software sorge dafür, dass zusammen gebuchte Passagiere in dieselbe Boarding-Gruppe kämen und dann auch gemeinsam einsteigen könnten. Zumindest dieses Problem gab es nach dem bisherigen System nicht, wo die Passagiere gestaffelt nach Sitzreihen ins Flugzeug gelassen wurden.
Kein Platz für Handgepäck
In Internet-Foren zeigen sich erfahrene Flugreisende nur wenig optimistisch, dass das neue Boardingverfahren vieles positiv verändern wird. Den eigentlichen Grund für die Staus im Gang sehen sie nämlich im knappen Platz in den Gepäckschalen oberhalb der Sitze, den "Bins".
Seitdem die Airlines für jedes aufgegebene Gepäckstück zusätzliche Gebühren verlangen, reicht der Platz auf einem vollbesetzten Mittelstreckenflug nur noch für die Utensilien einer guten Hälfte der rund 200 Passagiere.
Ein weiteres Problem: Viele Fluggäste sind zu Beginn des Boardings noch gar nicht am Flugsteig, sondern hetzen als Umsteiger auf den letzten Drücker zum Flieger. Selbst mit der besten Voreinteilung lässt sich daher nicht verhindern, dass auch ganz am Schluss des Prozesses noch Passagiere mit Fensterplätzen in die Kabine kommen.
Vielflieger sind kritisch
Wer zuletzt kommt, hat dann häufig Probleme, noch eine Lücke zu finden. Im Zweifel wandert sein Gepäck noch in den Frachtraum. "Solange sie nicht endlich das Handgepäck auf eine Menge beschränken, die in den Bins Platz hat, werden auch die ausgeklügeltsten Boarding-Verfahren nichts nützen", unkt beispielsweise ein Vielflieger aus Brüssel.
"Natürlich gehen wir im Zuge der Umstellung auch das Thema Handgepäck an", versichert Scherber. Es gebe inzwischen deutlich mehr Kontrollen und zudem verstärkt Aufforderungen, die Taschen und Rollkoffer doch noch kurz vor Abflug freiwillig und unentgeltlich abzugeben.
Doch letztlich behalten viele Menschen ihre Sachen gerne bei sich, auch um am Zielflughafen Zeit zu sparen. Mit dem neuen Boarding-Prozess geht diese Rechnung für Menschen, die gerne am Gang sitzen, wohl seltener auf.