Ein Ausflug nach Marburg ist wie ein Besuch bei einer guten Freundin. Die Stadt war unter den Habsburgern die größte Stadt der Untersteiermark. Man fühlt das Erbe noch, viele Menschen sprechen Deutsch. Wir huschen über die Stari most, Alte Brücke, und dann sehen wir es: Lent, der älteste Stadtteil, liegt vor uns wie ein Kunstwerk.
Früher einmal war Marburg Industriestadt. Einziges kulturelles Highlight: das Denkmal, das an die Gräuel des Zweiten Weltkriegs erinnert. Kojak nennen die Einheimischen schmunzelnd die wuchtige bronzene Kugel auf dem Freiheitsplatz (Trg svobode). Die Barockkirche in der Altstadt diente im Kommunismus als Lagerraum, Lent bestand aus Ruinen. Die Wende kam, als sich Slowenien 1991 unabhängig erklärte. Der Wegfall des jugoslawischen Markts markierte den Zusammenbruch der Industrie – und die Geburt einer neuen Stadt.
„Maribor muss sich erst neu finden“, sagt Uros Mencinger, Sloweniens bekanntester Gourmetkritiker, über seine Heimatstadt. Mit rund 112.000 Einwohnern ist Marburg zwar zweitgrößte Stadt Sloweniens, doch der Schatten der Hauptstadt Ljubljana ist lang. Das Aschenputtel an der Drau wandelt sich aber langsam zum Glamour Girl. Italienische Lebensfreude durchzuckt Marburg, immer mehr Cafés und Lokale eröffnen in der hübschen Fußgängerzone.
Wenn der frühe Abend ein hellblaues Tuch über den Himmel legt, beginnt die historische Postna ulica bei der Kathedrale zum Leben zu erwachen. Straßenlaternen tauchen die teils charmant bröckelnden Häuser in weiches Licht. Dazwischen haben Bands und DJs kleine Bühnen aufgebaut. Reden wird bei dem Soundteppich bald anstrengend, aber trinken funktioniert. Uros und seine Frau Violeta haben dafür die richtige Adresse: „Le Vino“, die beste Weinbar Marburgs, mit einer beachtlichen Auswahl regionaler Flaschen, auch Orange-Weine sind dabei.
Am nächsten Tag ist die Kathedrale unser Ziel. Sofort fallen die bunten Kirchenfenster auf. Fast schon so schrill wie Pop-Art setzen sie sich in allen Regenbogenfarben in Szene. Jetzt steigen wir (gratis) auf den 57 Meter hohen Glockenturm. Auf dem Weg nach oben lohnt ein Abstecher in die Türmerstube. Der Türmer warnte früher vor Feinden und Bränden.
Zwischen den roten Dächern der Altstadt sprießen immer mehr junge Pflänzchen: spiegelnde Bürohäuser, moderne Galerien und das Fußballstadion des erfolgreichen NK Maribor, das wie eine gläserne Welle zu fließen scheint.
Mutige Unternehmer investieren Geld, etwa Sasa Arsenovic, der am Hauptplatz (Glavni trg) ein historisches Gemäuer in das hübsche Boutique-Hotel Maribor verwandelte. „Wir müssen lernen, die Tradition in höchster Qualität weiterzuführen.“ Der Unternehmer ist auch neuer Bürgermeister und hat noch viel vor. „Wir wollen die Fußgängerzone erweitern und zwei neue Parkhäuser bauen.“ Entlang der Drau wird eine 13 Kilometer lange Promenade geschaffen werden, ein breiter Rad- und Fußweg mit Lokalen und Sportmöglichkeiten.
Europafit ist Maribor bereits im Kulturbereich. Das Slowenische Nationaltheater zieht mit Schauspielhaus, Oper und Ballett sogar Publikum aus Österreich an. Auch in den anderen Vierteln wurde die alte Bausubstanz der Europäischen Kulturhauptstadt 2012 in blühende Kreativstätten verwandelt.
Auf Augenhöhe mit der Kultur steht die Kulinarik. „Die slowenische Küche steht sehr gut da“, ist Uros Mencingers Einschätzung, „die Produkte sind noch nicht verdorben und viele Küchenchefs waren im Ausland.“ Einer der Impulsgeber ist David Vracko, im Gault Millau mit vier von fünf Hauben bewertet. Davids Bruder Gregor kocht auf ähnlichem Niveau in der Hisa Denk. Nur Autominuten entfernt zelebriert Klavdija Gaube im gleichnamigen Weingut einen wohltemperierten Mix aus Gasthaus und Fine Dining.
Am Abend haben wir einen Tisch in der „Gostilna pri Lesniku“ am Stadtrand reserviert. Ein neu renoviertes Hotel mit großem Garten. Mojca Polak, die Enkelin der Familie, führt uns in den Biogemüsegarten. „Probieren Sie“, sagt sie und pflückt Erdbeeren. Ein Gedicht, so aromatisch und saftig.
Auch auf dem Pohorje (Bachern), einem Gebirgszug nahe der Stadt, wachsen Obst und Gemüse üppig. Boris Uranjek führt im Dorf Fram durch seine Felder. Wie bei einem Familienessen werden große Schüsseln mit Wildkräuter- und Frittatensuppe in die Mitte des Tisches gestellt, dann Salate, Kalbsbraten, Backhendl und in Rotwein mariniertes Rindfleisch. Ein Fest auch für das Auge.
Auf dem Weg zurück fahren wir am Stadtpark vorbei. Ein Riesenareal mitten in Marburg, sogar Mammutbäume wachsen hier. An den drei Teichen geht es über Kamnica retour ins Zentrum. Entlang des Weges ziehen Pferde vorbei. Und wir sehen Heuarbeiter, die wie früher das Winterfutter für die Kühe mit der Hand auf große Ballen aufhäufen. Zurück in Marburg noch ein Abschlussdrink mit Uros und Violeta in der Bar Piranha an der Drau. Eine Stadt der Gegensätze. Gerade vorher noch eine Reise in die Vergangenheit und wenige Minuten später in der Bar. So lässig mit Glitzer und Glamour inszeniert, das könnte auch in New York sein.
Werner Ringhofer