Wohl eher Konstantin der Kleine. Wer in der Heimatstadt des großen römischen Kaisers auf dem seinen Namen tragenden winzigen Flughafen landet, wähnt sich erst einmal in der Einschicht. Bis man in Nis aus dem Shuttlebus steigt. In der drittgrößten Stadt Serbiens pflegt man zu sagen, „Vergnügen hat keinen Preis“ – und pflegt das auch zu leben.

„So wenig Geld kann man gar nicht haben, dass man nicht feiern geht“, sagt Aleksandra vom Tourismusbüro Nis. Ab dem späten Nachmittag ist jeder freie Sessel in den Schanigärten der Lokale besetzt, die die Häuserzeilen mit ihrem fast schon aberwitzigen Architekturmix säumen. Es brummt wie im sprichwörtlichen Bienenstock, bis die Sonne aufgeht. Werktag oder Wochenende – da macht man keinen Unterschied.

Dass man selbst gerne sitzen bleibt, ist nicht nur der überbordenden Gastfreundschaft geschuldet, sondern auch der Bekanntschaft mit dem regionalen Wein: zum Beispiel Tamjanika, eine Muskatellersorte, wird hier gekeltert. Er versiegt genauso wenig wie der Strom der (hervorragenden) Speisen, selbst wenn man nach den Mezze eigentlich schon w. o. geben will.

Auch, aber nicht nur wegen eines Vierteljahrhunderts des berühmten Jazzfestivals in der alten Burg, mag man es in Nis „freestyle“: In einem schmucklosen Innenhof zwischen Plattenbauten spielt eine Jazzband, ein paar Häuser weiter prasseln elektronische Beats aus einem Kellerlokal, während die gut geölte Stimme eines Straßensängers inbrünstig intonierte Roma-Lieder in den Nachthimmel trägt. Sperrstunde ist hier ein Fremdwort.

Der vielleicht einzige Ort, an dem es in Nis nicht rundgeht, ist der Alte Friedhof. 1971 stillgelegt, dämmert er verwachsen und dem Verfall preisgegeben vor sich hin und entwickelt dabei eine fast berückende Schönheit.

Jeden Tag sitzen sie am Anfang der Kupferschmiedstraße, wo einst der Basar brummte, und scheinen sich bei einem Rakija über Gott und die Welt zu unterhalten. Kalca, Hund Capa und Stevan Sremac. Mit zwei seiner Romanfiguren ist der serbische Schriftsteller als Skulptur im Zentrum der Stadt verewigt. Manchmal setzen sich Passanten auf einen Schnaps dazu.

Der Obstbrand löst die Zunge, aber wenn es um die jüngsten Jugoslawien-Kriege geht, sagt das Schweigen mehr als 1000 Worte. Von einer längst vergangenen, aber ebenso wenig vergessenen Schlacht erzählt der Schädelturm. 1809 kämpften serbische Aufständische auf dem Höhenzug gegen die osmanische Fremdherrschaft. Und verloren.

Nicht nur ihre Leben, sondern auch ihre Köpfe. Aus 952 Schädeln der Rebellen ließen die Sieger zur Abschreckung einen Turm errichten. „Heute sind nur mehr 59 in die Mauern eingelassen. Die anderen wurden von den Familien gestohlen, um sie zu beerdigen“, erzählt Selomir Markovic, der seit 30 Jahren das Denkmal am Schauplatz der Schlacht pflegt. Wer sich zu ihm in den Schatten des fast 100 Jahre alten Baums setzt, ist am Ende um viele Geschichten reicher.

Dusan hat sich einen Kindheitstraum erfüllt. In Tarnkleidung schwingt er sich in seinen Geländewagen und zeigt Besuchern den Naturpark nahe Nis: die Gipfel des Suva-Planina-Gebirges, die Cerje-Höhle, die 17 Kilometer lange Sicevo-Schlucht, deren Baumeister der Fluss Nisava ist, versteckte Klöster und verlassene Dörfer.

Doch der Traum des Rangers ist noch lange nicht ausgeträumt. „Vielleicht können wir schon nächstes Jahr eine Zipline über die Schlucht spalten“, erzählt er ungebrochen enthusiastisch. Er wünscht sich, dass die Region ein Nationalpark wird. Dass viele Gäste die Schönheit seiner Heimat sehen. Die wildromantisch vor sich hin verwitternden Bauernhäuser in den Bergen würde er gerne restaurieren und als Ferienhäuser vermieten. „Vielleicht übernächstes Jahr.“ Auch Träume haben keinen Preis.

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