Ich bin Rolf“, sagt unser Guide, als er uns am Flughafen in Olbia abholt, und seine Stimme, seine Art zu reden, alles an ihm wirkt so entspannt, als lebte der Schweizer seit Jahrzehnten auf einer idyllischen Insel umgeben von smaragdfarbenem Meer. Tatsächlich ist der einstige Banker Rolf Gassmann ausgestiegen, hat die Zahlen hinter sich gelassen, um sich dem zu widmen, was für ihn zählt.

Auf Sardinien, dieser italienischen Naturschönheit südlich von Korsika, findet er – und zeigt er uns – all das: die ältesten Felsen Italiens, fast unberührte Küsten, faszinierende Höhlen und zahllose Spuren einer uralten und doch immer neuen Kultur. Apropos uralt: Sardinien tut vielen gut und das sehr nachhaltig. Auf der Insel leben viele der ältesten Menschen Europas. Anthropologen forschen immer noch nach konkreten Ursachen.

Unser Weg führt uns in die Provinz Nuoro, zunächst in den malerischen Ort Orosei mit seinen engen Gassen, den alten Gemäuern und dem Ristorante „Su Barchile“ mit der einladenden Terrasse und den sensationellen Fischgerichten.

Unmittelbar am Meer liegt Orosei übrigens nicht, wie nur die wenigsten Städtchen auf Sardinien. Aus Angst vor Angriffen vom Meer aus haben sich die Bewohner der Insel über Jahrhunderte weiter landeinwärts angesiedelt. Und dabei ist es mehr oder weniger geblieben.

Viele der Küsten sind daher naturbelassen. Am nächsten Morgen fahren wir unter Rolfs Ägide an einen dieser wunderbaren Orte, in die Bucht Cala Ginepro. Von dort starten wir mit Rädern zu einem Ausflug durch das Naturschutzgebiet Oasi di Bidderosa, eine von vielen grünen Oasen von Nuoro, in der eigentlich nur die legendäre Costa Smeralda – die Küste, an der schon früh der Jetset gelandet ist – so richtig touristisch ist. „Überall sonst darf nicht nahe am Meer gebaut werden“, erklärt Roberto Sau von der Handelskammer der Provinz. „Der Boom der 1960er-Jahre ist daher ausgeblieben.“ Und jetzt setze man auf gezielte Entwicklung des Tourismus.

Exkursion per Motorboot

Nach einem leichten Mittagessen am Strand brechen wir auf zu einer äußerst beeindruckenden Exkursion per Motorboot entlang der felsigen Küste, hinein in einige der versteckten Buchten. Das Meer umspielt uns dabei in Farbtönen von Dunkelblau über Smaragd- bis Hellgrün. Die Formationen der Felsen in den Höhlen lassen sich auf amüsant-abenteuerliche Art deuten. Zwischendurch wird geschwommen – doch dann bootet uns der Terminkalender aus.

Es gibt so viel zu sehen in Nuoro. Sarule etwa in der Barbagia. Weil dort gefeiert wird, ist das Dorf mit bunten Fähnchen geschmückt. Handwerker geben Einblick in ihre Fertigkeiten und es gibt unter anderem Käse zu kosten, bei dem manchem fast der Mund offen bleibt. Weil wir gerade von Käse sprechen: Viel davon wird aus Schafsmilch erzeugt. Schließlich leben auf der Insel rund 1,7 Millionen Menschen und mehr als drei Millionen Schafe.

Fregola und Spitzenwein

Wir speisen später, wie so oft in diesen Tagen, exzellent. Fleischgerichte sind im Landesinneren verbreitet – und Gemüse als Beilage oder Alternative. Selten fehlt die sardische Fregola, eine einheimische Pasta-Variante aus Hartweizengrieß, die auf vielfältige Weise zubereitet wird. Was den Wein betrifft, bekommen wir auf dem Gut Puddu auf einer Hochebene in Oliena Einblick in das Leben einer Familie, die gerade mit Liebe und Stil, Erfahrung, Arbeit und Neugier in die Oberliga der Winzer aufgestiegen ist und alles daran setzt, ihren Spitzenplatz zu verteidigen.

Die nordöstliche Provinz der Insel hat aber auch für Wissensdurstige jede Menge Perlen parat: Tourguide Rolf läuft zur Hochform auf, als er und seine Frau, die mit ihm aus der Schweiz nach Sardinien kam, um zu bleiben, mit zwei Jeeps anrücken. Begeistert steigen wir ein, um dann mit den Geländewagen durch die Valle di Lanaitho zu rattern. Dort leben wilde Tiere. Einst lebten dort auch Menschen im Villaggio Preistorico di Sa Sedda ’e Sos Carros. Das Nuraghen-Dorf stammt aus dem 7. bis 9. Jahrhundert vor Christus und zählt zum bedeutenden Kulturerbe Sardiniens.

Beeindruckende Grotten

Wenig später wird es noch einmal abenteuerlich: in der Grotta di Sa Oche, einer riesigen Höhle, in der zwischen faszinierenden Tropfsteingebilden zahllose Fledermäuse leben.
Sonne, Salz, Stein, Sand, Smaragd: Mit aller Macht wirkt jetzt wieder der Magnetismus des Meeres. Kurz nach Sonnenuntergang kommen wir nach einer Fahrt über eine kurvenreiche Straße, die Motorradfahrer lieben und von der aus man atemberaubende Ausblicke hat, in Bari Sardo in der Provinz Ogliastra an. Majestätisch thront dort am Strand der ehemalige Wachturm, von dem aus man den potenziellen Feind in Augenschein nahm. Der Himmel changiert zwischen Rosa und Hellblau, ehe er die Farbe verliert, um am nächsten Morgen mit unglaublichem Rot, Blau und Orange aufzuwarten.

Aber da müssen wir bereits weiter. Nach einem Stopp an einem wunderschönen Strand nahe Olbia geht es zurück zum Flughafen. Check-out in Sardinien. Check-in für den Heimflug. Rolf und seine Frau bleiben auf der Insel, unsere Sehnsucht. Und im Hinterkopf die Überlegung, es ihnen gleichzutun. 

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