Zum Lied "Große Freiheit" von Unheilig setzt sich die "Mein Schiff 1" im Hafen von Kiel in Bewegung. Es ist eine ihrer ersten Fahrten an der Ostsee und im Baltikum. Wer die Tour Richtung Russland Ende Juni, Anfang Juli bucht, der wird die weißen Nächte erleben. Richtig dunkel wird es hier nicht, in der Nacht herrscht allenfalls Dämmerungs-Stimmung. Da übersieht man schon mal die Zeit, geht viel zu spät zu Bett - und wacht in Tallinn wieder auf. Die estnische Hauptstadt, etwas größer als Graz, besticht erst auf den zweiten Blick.
Der Hafen ist wenig ansprechend, der kurze Weg ins Zentrum ebenso. Hinter den alten Stadtmauern offenbart sich dann eine andere Welt, eine Altstadt mit großzügigen Plätzen und engen Gassen. Schicke Bauten säumen die Straßen, auf denen es hektisch zugeht: Die Passagiere mehrerer Reedereien drängen in die Stadt. Die beliebtesten Ziele: Domberg, Rathausplatz und die Alexander-Newski-Kathedrale. Sehenswert ist auch Schloss Katharinental, das allerdings etwas außerhalb liegt - für viele Tallinn-Besucher fehlt dafür die Zeit.
Sie müssen zurück an Bord ihrer Schiffe. Während die Gäste in der Stadt waren, wurde unter Deck fleißig gearbeitet: Rund 1000 Mitarbeiter aus 54 Nationen leben hier, teilweise mehrere Monate am Stück. Von den Ärzten über Schauspieler, von Barkeepern, dem Kabinenpersonal bis hin zum Köchen und Kellnern. Spannend ist dabei die Aufteilung nach Nationen: Österreicher sind vor allem in den Küchen zu finden, etwa Küchenchef Rene Afflenzer aus Niederösterreich.
Die Griechen wiederum haben sich vor allem der Umwelt verschrieben: "Unser Ziel ist es nur noch Produkte zu verwenden, die recylebar sind", sagt Athanasios Kallikis. Er weiß, dass Kreuzfahrtschiffe nicht besonders umweltfreundlich sind – und will gegensteuern: „So werden alle Lebensmittelreste bereits an Bord zu Hummus verarbeitet“. Von einer Tonne Bio-Abfall bleibt dann nur noch ein Sackerl übrig.
Ein paar Decks darüber freuen sich die Passagiere auf zwei Tage St. Petersburg. "Für diese Metropole ist das viel zu wenig", ist sich ein Paar aus Klagenfurt sicher. Sie sollten recht behalten: "Etwa fünf Millionen Menschen leben offiziell hier", erzählt die Touristenführerin. Inoffiziell geht sie von deutlich mehr Einwohnern aus.
An diesen Tagen zieht es besonders viele von ihnen auf die Straße: Die weißen Nächte werden hier ganz besonders gefeiert - beispielsweise mit jungen russischen Bands, die an jeder zweiten Ecke ihr Können unter Beweis stellen. Einheimische wie Touristen lauschen den Klängen. Im Souveniershop nebenan türmen sich die Babuschkas – teils mit prominenten Gesichtern, wie jenem von Angela Merkel. Deutsche Gäste schütteln bei diesem Anblick den Kopf, den kostenlosen Schluck Wodka nehmen sie trotzdem. Der gehört hier quasi zum guten Ton.
Abseits dieses Lebensgefühls warten auf die Besucher jede Menge Prunkbauten, verteilt über den gesamten Großraum. Besonders empfehlenswert: Schloss Peterhof, 30 Kilometer westlich von St. Petersburg. Die 1723 eingeweihte Palastanlage besticht nicht nur mit ihrem riesigen Park, sondern auch mit einem glamourösen Ballsaal und jeder Menge Brunnen: Aus ihnen strömen 176 Fontänen, deren Wasserspiele durch 25 Kilometer unterirdischer Rohre ermöglicht wird. Die dominierende Farbe ist Gold, vor allem bei den Kaskaden im unteren Bereich des Gartens, samt Kanal zum finnischen Meerbusen.
Weiter geht es in den Katharinenpalast. Hier befindet sich wiederum das berühmte Bernsteinzimmer, in dem - obwohl es sich um eine Rekonstruktion handelt - absolutes Fotografie-Verbot herrscht. Immerhin befinden sich hier 800 Kilo Bernstein in den Wänden verarbeitet. Die prunkvollen Räume der einstigen Zarenresidenz wurden im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt, teils komplett zerstört, später aber wieder originalgetreu aufgebaut.
Die russische Metropole, wegen ihrer rund 580 Brücken und vielen Kanäle auch „Venedig des Nordens genannt“, hat darüber hinaus noch viel mehr zu bieten: die Peter-und-Paul-Festung, mit der man die Stadt ursprünglich geschützt hat, die Blutskirche, die Isaakskathedrale, weitere 300 Gotteshäuser, das russische Museum und und und. Auch das U-Bahn-System zieht die Massen an: einige Stationen gelten als architektonisch schönste der Welt. Und kaum wo fährt die Metro tiefer unter der Erde - nämlich bis zu 102 Metern.
Von tief unter Tag geht es zurück auf hohe See - und zu einem Besuch auf der Brücke: "Bei dieser Größe kann man sich mit dem Schiff keine krassen Manöver erlauben, wir fahren vorsichtig und vorausschauend", sagt Kapitän Thomas Roth. Er nimmt Kurs in Richtung Helsinki: Schon am Hafen wird klar: in der nördlichsten EU-Hauptstadt wird wie wild gebaut, der Zuzug ist groß. Das Zentrum der Stadt lässt sich gut zu Fuß erkunden. Dabei geht es vorbei an Dom oder Senatsplatz. Und jeder Menge Designläden.
Besonders sehenswert ist hier die Marktkultur, vor allem am alten Hafen - von handgemalten Postkarten bis zu selbst gestrickten Mützen ist hier alles dabei. Daneben verkaufen Fischer direkt vom Boot ihre fangfrische Ware. Verarbeitet gibt es die Produkte in der Vanha kauppahalli, der 1888 eröffneten Markthalle ums Eck, angeboten. Neben Fisch schwört man hier auf Roggengebäck und Elchfleisch.
Zum Schmausen bleibt aber nicht allzu viel Zeit. Das Schiff ruft schon wieder. Je nach Reederei werden im Anschluss an die genannten Städte noch weitere angefahren. Die "Mein Schiff" bricht je nach Route auf in Richtung Stockholm oder Kopenhagen. Mit der "großen Freiheit" und einem leichten Wind um die Ohren. Oder wie es von Unheilig bei der Ausfahrt von jedem Hafen zum Blick auf das offene Meer aus allen Boxen tönt: "Es ist schön dich wiederzusehen".