Zunächst klingt es wie ein Irrtum oder zumindest wie ein falscher Vorwand. Wer macht schon eine Reise auf eine Insel, nur um diese auf schnellstem Wege wieder zu verlassen?
Doch alles der Reihe nach, denn der Charakter der Irrtümlichkeit beginnt noch früher: Wer sich dem kroatischen Eiland Rab nähert, erblickt schon vom Festland aus die von Stürmen bis zur Kargheit geschliffenen Felsen der Ostküste. Erst das Wegstück mit der Fähre auf die Insel und dann weiter zur Westküste offenbart die grüne Kraft satter Landschaften, die sich mit Feigen- und Olivenbäumen schmücken. Ansehnlich gibt sich auch der historische Stadtkern von Rab, dessen vier Kirchtürme das charakteristische Wahrzeichen eines durch pittoreske, enge Gassen strukturierten Zentrums bilden.
Niemand muss auf der Insel lange suchen, um Argumente zu finden, die zum Verweilen einladen. Und dennoch gibt es gute Gründe, sich von der Sicherheit eines festen Bodens unter den Füßen wieder zu verabschieden und sich den Gewissheiten des Meeres zu überlassen. See-Kajak heißt das Gefährt des Abenteuers, „Relaxploration“ das dazupassende Schlagwort. Immer wieder verwendet Josko (genannt Jogi), unser erfahrener Guide, dieses Wort, wenn er über die Faszination des Kajakfahrens spricht. Man möchte es ihm erst glauben, wenn man sich schließlich selbst in einem der schwankenden Boote befindet: „Links, rechts, links, rechts.“
Geschmeidig bewegt sich das Boot über die Wasseroberfläche, während die Schwimmweste den Körper angenehm wärmt. Gesteuert wird mittels kleiner Pedale bei den Füßen, die über Seile das Ruder lenken. Die Augen abwechselnd auf die Wellen und die Küste gerichtet, erklärt sich das Kofferwort aus „relaxation“ (Entspannung) und „exploration“ (Erforschung) mit jedem einzelnen Paddelschlag.
Ein Kajak als Platz-Wunder
Und derer sind es viele: Eine Tour mit Jogi oder seinen Mitarbeitern kann wahlweise bis zu 16 Tage dauern. Übernachtet wird abenteuergerecht: in einem Zelt auf einsamen Stränden. Alles, was wir Bootreisende für unsere Umrundung von Rab brauchen: Zelte, Schlafsäcke, Essen, Süßwasser, Kochutensilien, Kleidung und Fotoausrüstung. Wie dieser Berg an Utensilien, zunächst noch am Pier angehäuft, schließlich in unseren wackeligen Booten Platz findet, ist eines der ungeklärten Rätsel dieser ungewöhnlichen Reise.
Nach dem Ablegen geht es vorbei an den Fassaden der Altstadt und der sogenannten Liebesinsel, die in den 1930er-Jahren zum ersten FKK-Strand Kroatiens wurde. Wer selbst kein Boot zur Verfügung hat, nutzt eines der zahlreichen Wassertaxis, um sich hier ein lauschiges Plätzchen zu sichern.
„Links, rechts, links, rechts.“ Während unsere kleine Gruppe nicht nur die Liebesinsel, sondern auch die Zivilisation paddelweise an der Westküste in Richtung Norden hinter sich lässt, werden wir langsam eins mit dem Kajak, den Wellen und dem Meer. Gänzlich entkommen können wir der klassischen Tourismuswelt freilich auch hier in der belebten Insellandschaft nicht: Geräuschvoll brausen Motorboote aller Größen an den Küsten vorüber, in der Ferne verkehren die Fähren. Wie eine Antithese fühlt sich hingegen unsere Form der Fortbewegung an: still, schadstofffrei, entspannt. Links, rechts, links, rechts.
„Es sorgt für Frieden im Kopf“, sagt unser Kajak-Guide Jogi über das Paddeln und nichts lässt an seinen Worten zweifeln. Stress gibt es am Wasser nicht, Langeweile ebenso wenig. Das Meer ist die Spielwiese, Wind und Wetter geben die Regeln vor und der Rest ist in sanfter Eintracht dem eigenen Willen unterworfen. Verlangt es nach einer Pause, macht man eine Pause. Verlangt es nach einem Sprung in das erfrischende Nass, bietet sich hier und dort und überall die Möglichkeit dazu. „Fifty Shades of Blue“ - „50 Schattierungen in Blau“ - nennt Jogi die Welt zwischen den kroatischen Inseln.
In einer Meereszunge legen wir eine Pause ein. Die Kajaks - jeder rudert in einem eigenen - werden auf das grobsandige Ufer gezogen und dort gesichert. Eine Erkenntnis klopft an: Das Kajak-Nomadenleben ist leicht und befreiend, aber zugleich nicht ganz einfach. Die Arme und der Rücken zeigen erste Ermüdungserscheinungen, der Magen knurrt nach der Anstrengung. Während sich die fleißigen Paddler einen Sprung ins Wasser gönnen oder den Blick auf die ferne Insel Cres genießen, bereitet Jogi pflichtgetreu eine Jause für seine Mannschaft vor. Tomaten, Oliven, dazu Joghurt und Burek sind die kulinarischen Begleiter. Nie schmecken sie besser als hier.
Wenn es analog zum amerikanischen Traum auch einen kroatischen gibt, dann findet er in Jogis Lebenslauf eine Spielart. Vor elf Jahren gründete er gemeinsam mit seiner Frau sein Unternehmen Sea Kayak Croatia, das neben dem Kajakverleih auch die mehrtägigen Rundreisen anbietet. Mehr als 100 Nächte verbringt er jedes Jahr mit Expeditionen an einsamen Stränden, erzählt der gutmütige Seebär. Nur in den Wintermonaten mit ihren unnachgiebigen Bora-Stürmen zieht der 39-Jährige das eigene Haus dem Zelt vor.
Die verdiente Ruhe
Es sind die kleinen und großen Etappen, die dem Tag am Meer seine Struktur geben. Von der Umfahrung einer kleinen Landzunge bis zum Übersetzen auf eine andere Insel. Das Ende unserer rund 17 Kilometer langen Tagesetappe läutet schließlich der gesunkene Sonnenstand ein. Auf einer Landenge, eingebettet zwischen zwei Hügeln, suchen wir einen Strand, um unser Nachtlager aufzuschlagen.
Hier würde uns zwar ob der exponierten Lage in der Nacht der kräftige Wind um die Zelte pfeifen, aber die ungehinderte Aussicht auf den Sonnenuntergang lässt alle Zweifel beiseiteschieben. Müde, wie wir sind, würden uns auch die lautesten Böen in dieser Nacht nicht vom Schlaf abhalten.
Davor gibt es aber noch Jogis einfache, aber genussreiche Kochkünste, verdiente Ruhe, friedliche Gespräche am Strand und das Gefühl, ein wenig wie Robinson Crusoe zu leben. Das Wort „Relaxploration“ braucht es jetzt nicht mehr. Es hat sich verdinglicht, ist zum Erlebnis geworden. Ein Abenteuer, ganz einfach, einfach groß.