Frühmorgens genießt die Stadt Shiraz ihre Unschuld in vollen Zügen. Der Himmel zaudert noch, seine ersten Farbenspiele zu inszenieren. Er trägt, um ein persisches Wort in Umlauf zu bringen, noch seinen Pyjama. Graublau dominiert, mit ersten zartroten Farben an den Rändern. Wer zu dieser Zeit schon auf den Beinen ist, dem schenkt Shiraz, umgeben von Gebirgen, ein einzigartiges Hörerlebnis. Die viel gerühmte Rosenstadt verwandelt sich in einen gigantischen Schalltrichter.
Manche Musik, heißt es, sei ein Geschenk des Himmels. Der Azan in Shiraz zählt dazu. Es ist der Aufruf zum Morgengebet; sanft und doch von enormer Intensität. Für den, der die Worte des Gesangs nicht versteht, sie ohnehin nicht verstehen will, ist die Botschaft auf andere Weise schlicht und klar: Und wieder wird es ein schöner Tag. Stets mit einem Bein in der Gegenwart, mit dem anderen irgendwo in der Antike.
Als schlafende Schönheit bezeichneten die Iraner in Zeiten rigoroser Unterdrückung ihr Heimatland, das, erfüllt mit Magie, endlich wieder zu neuem Leben erwacht. Nach Jahren der Schreckensherrschaft durch die erst im Mittelalter angelangten Ayatollahs, nach der internationalen Isolation und den zum Teil haarsträubenden Boykotts, provoziert durch den großmäuligen und größenwahnsinnigen Regenten Mahmud Ahmadinedschad. Nach seinem Abgang bekam er, der nichts als Trümmerhaufen hinterließ, den zynischen Beinamen „Der Vollbeliebte“.
Vor rund einem Jahr hatte auch der Spuk der Sanktionen ein Ende. Die Euphorie schien grenzenlos, in einem Großreich, dessen Bewohner jeden Besucher durch ihre Herzlichkeit und Gastfreundschaft ohnehin schier fassungslos machen. Dass nun wieder berechtigte Sorge herrscht, weil sich das Weiße Haus in Washington im Eiltempo in ein Schwarzes Haus verwandelt, ändert vorerst nur wenig am Prinzip Hoffnung, das sich im Vielvölkerstaat rasant ausgebreitet hat. Ein Bild drängt sich auf: Ehe Kolumbus nach Amerika aufbrach, schuf ein unbekannt gebliebener, aber weitsichtiger Künstler und Kartograf ein Bild der nur zur Hälfte bekannten Erde. Es zeigt ein mit Strichen und Linien durchzogenes Gesicht, das unter einer Narrenkappe steckt; es hat hohen Wiedererkennungswert.In Ländern dieser Größenordnung solle man bei seinem ersten Besuch bestenfalls zehn bis 14 Tage bleiben, lautet der wichtige Ratschlag eines Kosmopoliten, der den Iran etliche Male bereiste, in alle Himmelsrichtungen. Es gehe zuerst nur darum, ein Gefühl für das oft ohnehin nur scheinbar Fremde, Andere zu bekommen. Die Sinneseindrücke seien selbst in diesem kurzen Zeitraum überwältigend. Wie wahr, wie zutreffend. Speziell im Iran.
Schon nach wenigen Tagen gleichen all die bereits gesammelten Erinnerungen, Impressionen, Erlebnisse, Begegnungen mit großartigen, hilfsbereiten Menschen 1001 magischen Märchen in einer Nacht. Wobei erwähnt werden sollte, dass im Iran 24 antike Stätten, Paläste, Moscheen zum Weltkulturerbe zählen. Hunderte weitere könnten es in Wahrheit sein. Als beste Verhaltensregel dabei gilt wohl: sich einfach durch alle Falltüren dieser turbulenten, an Hochblüten, aber auch an Kriegen und Umstürzen reichen Geschichte fallen und sich von einer unsichtbaren Hand mitziehen zu lassen.
Der paradiesische Eram-Garten in Shiraz zieht wie im Zeitraffer vorbei, gefolgt vom Mausoleum für den Dichter Hafis, wo zwei Armeeangehörige, angetan mit Mützen, die sie eher wie Schlümpfe aussehen lassen, mit dem Handy fröhlich und ausgelassen Selfies fabrizieren. Danach das eigentlich völlig sinnfreie, auf völligem gegenseitigen Nichtverstehen beruhende, aber berührende Gespräch mit einem der vielen auf der Straße hockenden Losverkäufern, die für die „Ziehung“ Wellensittiche als Glücksbringer einsetzen. Am Ende war er um 50 Lose ärmer.
Die morgendlichen Wanderungen in der mächtigen Ruinenstätte von Persopolis, das Flanieren im streng geometrischen Gassenlabyrinth von Yazd. Die nahe gelegenen Türme des Schweigens, das Innehalten, Ruhen. Immer wieder gilt: Der Wind ist der Atem, der vorbeieilt. Die Stille hingegen ist die Trance der angehaltenen Zeit.
Fatal wäre es, die Realität auszublenden. Die politischen Daumenschrauben wurden gelockert, aber nicht nur das Justizsystem ist verheerend. Zahllos sind die Plakate mit den strengen Blicken der einstigen Ayatollahs, Mahnungen und Warnungen gleich. Manche aber vermodern, und das ist der schlechteste Anblick nicht.
Wer sich allerdings schon an den geltenden Einreisebedingungen stößt, der ist wohl in mediterranen All-inclusive-Klubs weitaus besser aufgehoben. Zumal die Frauen in Teheran oder Isfahan ja beweisen, mit welcher Raffinesse die Kopftücher getragen werden können.
Man reist, um nie wirklich anzukommen. Und um unterwegs unvergessliche Menschen zu treffen, wie den Maler Abbas Rabini im Basar von Isfahan. Seit 40 Jahren malt und zeichnet er mit feinster Feder seine Fantasiewelten. „Dort bin ich daheim“, sagt er. Iran: Geschichte und Geschichten überall. Es bedarf nur einer inneren Wünschelrute und der Bereitschaft, ihr zu gehorchen, sobald sie zu zittern beginnt.
Werner Krause