Es heißt, dass diejenigen, die nach Menorca kommen, zwei Mal weinen müssen. Das erste Mal, sobald sie die Insel betreten - und zwar aus Enttäuschung. Und tatsächlich präsentiert sie sich auf den ersten Blick eher von der kargen Seite.

Was auch Georgina, langjährige Reiseleiterin auf Menorca, gar nicht in Abrede stellt. „Hier ist sogar die Pflanzenwelt eher anspruchslos“, sagt sie. „Vorwiegend Buschwerk, Pistazienkraut, ungenießbare wilde Oliven, widerstandsfähiges Raigras und Steine.“ Letztere vor allem: Wie ein Netz aus Adern ziehen sie sich in Form von unzähligen Mauern über die Insel. Rund 15.000 Kilometer sollen es sein, und wenn man bedenkt, dass Menorca nur etwa 50 Kilometer lang und 16 Kilometer breit ist, dann hat diese Zahl schon etwas Beeindruckendes an sich.

Errichtet wurden die Mauern vor allem aus praktischen Gründen: um Land für den Ackerbau zu gewinnen und zum Schutz der Erde vor der Austrocknung. Geschichtlich gesehen war Menorca eine heiß begehrte und umkämpfte Insel: Karthager, Römer, Vandalen, Byzantiner, Araber, Spanier, Engländer, Franzosen, dann wieder die Engländer und schließlich wieder die Spanier, denen die Insel 1802 endgültig zugesprochen wurde. Alle hinterließen hier ihre Spuren. Ganz abgesehen von den Piraten, die Menorca immer wieder heimsuchten und die mit ein Grund dafür waren, dass die Bewohner sich selten direkt an den Küsten niederließen, sondern eher im Inneren der Insel ansiedelten. „Hätte Geschichte Gewicht, würde Menorca unter ihr versinken“, sagt Georgina.

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Heute präsentiert sich „Die Kleine“, wie der katalanische Name Menorca übersetzt heißt, aber als Paradies für Romantiker, Naturliebhaber und jene, die es touristisch eher ruhiger angehen wollen. Vom Ballermann, für den die große Schwesterinsel Mallorca berühmt-berüchtigt ist, hat man sich hier frühzeitig distanziert.

Nur wenige „Hotelbau-Sünden“ erinnern an eine Zeit, als man kurzfristig darüber nachdachte, auf diesen Zug aufzuspringen. Statt riesige Bettenburgen zu errichten, entschied man sich für kleine Feriendörfer, die sich an der traditionellen Bauweise der Inselbewohner orientieren. Weiß verputzt, höchstens zwei Stockwerke hoch, kleine Vorgärten, die, wie könnte es anders sein, von Steinmauern umrandet sind.

1993 wurde die Insel zu einem Biosphärenreservat erklärt und heute steht fast die Hälfte unter Landschafts- und Naturschutz. Mit der angenehmen Folge, dass viele unbebaute Strände und Landstriche erhalten sind und ein touristischer Massenansturm weitgehend ausgeblieben ist. Die Chance, dass man eine der rund 100 idyllischen Buchten der Insel, die sogenannten Calas, ganz für sich alleine hat, sind also gar nicht so klein. Klein und schmuck sind auch die beiden Städte der Insel Maó und Ciutadella. Maó ist die heutige Hauptstadt und kann mit dem zweitgrößten Naturhafen der Welt aufwarten, den man vom Zentrum aus über die „Große Treppe“ erreicht.

Menorca ist eine Insel, die man auf sich wirken lassen muss. Fast schüchtern wirkt sie, obwohl sie das mit ihrer fantastischen Natur gar nicht sein müsste. Und was die Kulinarik angeht, schon gar nicht. Berühmt ist die Insel für ihre Käsespezialitäten und die Langustensuppe, und immerhin wurde hier sogar die Mayonnaise erfunden. Es gibt hervorragende Weine - unter dem geschützten Namen „Vi de la terra illa de Menorca“ (Wein der Erde des Landes Menorca) - erlebt dieser gerade wieder einen Aufschwung. Ein Ausflug zum größten Weingut, dem „Binifadet“ in Sant Lluis, kann an dieser Stelle nur empfohlen werden.

Kommen wir also zurück zu den Tränen. Spätestens beim Rückflug könnten sie einem zum zweiten Mal kommen: Aber diesmal, weil man dem Charme der Insel erlegen ist. Man beneidet Georgina fast, die nach einem Urlaub vor 30 Jahren einfach hiergeblieben ist.