Es gibt also Schinkenbrot. Heutzutage der wohl schnellste Grund, um im Flieger die lukullische Laune in den Sinkflug zu treiben. Zumindest unterstreicht es die Theorie, dass selten etwas Besseres nachkommt, wenn sich die Geschichte wiederholt. Vor 175 Jahren aber, da war das Schinkenbrot Teil einer Sensation und was für einer: Eine Bahnfahrt von Leicester nach Loughborough und retour um einen Schilling, gratis Tee, eine Blaskapelle bei der Ankunft und das besagte Schinkenbrot. Obwohl es die Zugverbindung bereits seit 15 Jahren gibt, hat noch kaum einer der 540 Reisenden, die am 5. Juli 1841 die Fahrt antreten, jemals das Holpern der Schienen gespürt. Es war schlichtweg zu teuer und für das reine Vergnügen Geld ausgeben, wenn es selbst für das tägliche Leben kaum reicht? Unmöglich!

Thomas Cook
Thomas Cook © Cook

Nicht ganz, wie es Thomas Cook, dem Initiator eben jener ersten Pauschalreise, dämmert. Zwar war die Grundintention des britischen Baptistenpredigers alles andere als dem Vergnügen geschuldet – die Fahrt führt zum Protestmarsch der Abstinenzbewegung –, aber für viele ist es trotzdem eine kleine Fahrt ins Glück. Aber eine, die sich organisieren und wiederholen lässt. Cook erkennt das Bedürfnis dahinter: Eine kurze Flucht aus dem Alltag. Und er sorgt dafür, dass sie auch leistbar wird. Und noch etwas zeigt sich: Es sind nicht mehr länger nur die Reichen, die sich das Reisen leisten können. Es ist die Überwindung einer Hürde, die Wilhelm Busch vortrefflich zu formulieren wusste: „Froh schlägt das Herz im Reisekittel, vorausgesetzt man hat die Mittel.“

Die Reise als Vergnügen

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Cook revolutioniert das Reisen, denn ein Vergnügen war es zuvor nur in den wenigsten Fällen – die asketischen Pilgerfahrten seit dem Mittelalter fielen eher nicht darunter. Schon gar nicht die Entdeckerfahrten von Darwin, Humboldt und Co. im Namen der Wissenschaft. Ausnahmen bilden hier die Bildungsreisen im 18. Jahrhundert. Goethe tourte gleich zwei Jahre lang durch Europa, eigenes Bett und Koffer mit Spezialfach für den Zylinder inklusive. Leichtes Gepäck schaut anders aus. Kurz nach der Bahnfahrt Nummer 1 nehmen Cooks Pläne Fahrtwind auf und er setzt den Grundstein für das noch heute existierende Firmenimperium. Meilen um Meilen legt er selbst zurück, inspiziert die Orte seiner angebotenen Reisen ganz genau und höchstpersönlich: zunächst noch Schottland, später auch Ägypten. Er heuert Reiseleiter an, setzt selbst Meilensteine – darunter seine legendären „Guide Books“, Reiseführer, die seinen Kunden Land und Leute näher bringen.

Die erste Ägypten-Reise von Thomas Cook
Die erste Ägypten-Reise von Thomas Cook © Cook


Und der Zug fährt und fährt, nimmt nach dem Zweiten Weltkrieg ordentlich Fahrt auf – die westlichen Industriegesellschaften ziehen mit, das Reisen verändert sich. Das kurze Vergnügen wird länger, dient aber immer öfter auch der notwendigen Erholung vom Arbeitsalltag, wie der Salzburger Tourismusexperte Kurt Luger skizziert: „Der Tourismus wurde zum gesellschaftlichen Reparaturbetrieb, der den übermüdeten Körper und stockenden Motor wieder in Schwung zu bringen hatte. Der zeitweilige Auszug der Massen aus ihrem geschäftigen Alltag führte auch zur Kritik an dieser Gesellschaft, die so massive Defizite aufbaute, dass sie in drei Wochen Erholung kaum zu kompensieren waren.“

Fixgröße im Kalenderjahr

Der Urlaub wird zur Belohnung, die wir fieberhaft herbeisehnen, eine Fixgröße wie Weihnachten – die Erwartungen, Hoffnungen und Wünsche transportiert. Eine gefährliche Mischung, denn ein Platz im Reisebus ist immer fix vergeben – an die Enttäuschung. Doch wo fährt der Bus eigentlich hin? Auch hier hat sich die Wissenschaft schon längst ihre Gedanken gemacht, denn der Mensch reist eben nicht so einfach davon, beschließt wie Phileas Fogg aus einer Wettlaune heraus, in 80 Tagen um die Welt zu reisen. Nein, der Mensch reist nicht ohne Reisemotivation, die beiden wichtigsten Tempomacher nennt man Schubfaktoren und Zugfaktoren, wie Tourismusexperte Luger erklärt: „Schubfaktoren sagen uns, dass wir wegmüssen, um einem Mangel zu begegnen, den wir vor Ort erleiden – also Sonne statt Schnürlregen, Wellness statt Halligalli. Zugfaktoren hingegen bestimmen darüber, wohin wir reisen – es zieht uns zu bestimmten Orten.“

Für den Reisenden selbst mag das von wenig Belang sein, für die Tourismusindustrie ist dieser Raster jedoch Gold wert, im wahrsten Sinne des Wortes.
Ab in den Süden oder doch Kulturreise? Last-minute-Flug oder großes Abenteuer? Zu jeder Destination erkennt die große Tourismusmaschine das passende Bedürfnis, verstärkt Sehnsüchte oder weckt sie gar. Nur raus aus dem Alltag, der dann unweigerlich doch wiederkommt: für die Fernreisenden, die Stammgäste, die Kurzentschlossenen.

Kurt Luger
Kurt Luger © HELGE KIRCHBERGER Photography

Vielleicht etwas mitnehmen, das über Souvenirs hinausgeht? Das bleibt und die Rückkehr, den Alltag, das eigene Leben verändert? Unmöglich ist das nicht und kein Neuland, wie man vermuten könnte. Vielmehr geht es zurück zu den Wurzeln – mit dem Bonus moderner Annehmlichkeiten. Ob Pilgern am Jakobsweg oder Kulturreisen zur Weiterbildung, wie es schon Goethe und seine Zeitgenossen zu schätzen wussten – Reisen ist nicht mehr nur pure Erholung, sondern soll immer öfter auch zur persönlichen Weiterentwicklung beitragen. Doch diese Anleitung gibt es nicht im All-inclusive-Paket im Reisebüro: „Man muss sich mit leichtem Gepäck auf den Weg machen und bereit sein, etwas zuzulassen“, beschreibt Kurt Luger die Grundvoraussetzung – und das ist erst der Anfang: „Es gelingt, je nachdem, wie weit ich bereit bin, von meinen Prämissen, meinen Vorurteilen und meinem festgelegten Mindset auch abzugehen, und ob ich die Bereitschaft habe, etwas zu lernen.“

Doch bevor man den Koffer packt, braucht es zunächst die Erkenntnis, dass es dort drinnen noch genügend Platz gibt, der sich auch auffüllen lässt: „Man muss schon ein Gespür haben, um Defizite an seinem Leben zu entdecken“, so Luger. Ist das jedoch der Fall, „dann kann man als Tourist woanders ,einkaufen‘ gehen“. Dass sich das auszahlt, wusste schon der Universalgelehrte Alexander von Humboldt, den seine ausgedehnten Forschungsreisen von Südamerika bis nach Asien führten: „Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die Weltanschauung der Leute, welche die Welt nicht angeschaut haben. „Dabei muss es zwangsläufig nicht immer die spirituelle Reise ins Himalaja-Gebiet sein, die Erkenntnis bringt, auch ein Strandurlaub kann zur Einsicht führen – vorausgesetzt, man lässt sich nicht vom Mantra „Der Urlaub wird’s schon richten“ verführen, denn dieses Pflaster hält üblicherweise nur kurz.


Wer es schafft, den Urlaub als Ideengeber für den Alltag zu sehen, freut sich im besten Fall auch auf die Rückkehr aus dem Urlaub. Oder um es mit den Worten des irischen Schriftstellers George Moore zu sagen: „Der Mensch bereist die Welt auf der Suche nach dem, was ihm fehlt. Und er kehrt nach Hause zurück, um es zu finden.“