Wenn Romana Kačič durch Piran geht, bewegt sie sich durch eine Welt aus längst vergangenen Tagen. Der Sandstein, aus dem viele Straßen und Plätze, Mauern und Gebäude der Hafenstadt nördlich von Portorož bestehen, ist für sie mehr als nur ein Baumaterial. Er ist ein Stück Geschichte und Identität. „Aus einem Stein kann immer etwas werden“, sagt Romana Kačič. „Einen Stein auf einen anderen zu setzen, ist ein zivilisatorischer Anfang.“
Kačič ist Landschaftsarchitektin und lebt seit zwölf Jahren in Piran. Zuvor waren sie und ihr schwedischer Mann Mattias Lidén, ebenfalls Landschaftsarchitekt, in Venedig und Triest tätig, für Projekte in vielen Teilen Italiens. „Als wir nach Piran zogen, war ich erschüttert, wie hier mit dem kulturellen Erbe umgegangen wird“, sagt Kačič. „Der historische Hafen aus Stein wurde einfach abgerissen, viele Kulturschätze wurden nicht gepflegt.“ Das war für sie der Anstoß, sich mit der Geschichte und Kultur ihrer neuen Heimatstadt zu beschäftigen.
„Ich wollte etwas Ureigenes finden, das unsere Region von Kroatien abgrenzt, mit dem wir uns die Istrien-Region teilen“, erklärt Kačič. Dabei stieß sie auf den Sandstein, der sie seitdem nicht mehr losließ. Im Gegensatz zur kroatischen Küste Istriens wurde hier seit jeher mit dem rötlich-orangen Sandstein statt mit weißem Kalkstein gebaut. Sloweniens Küstenlinie ist von Klippen aus rötlichem Flysch-Gestein geprägt, den es nur hier gibt.
Der Stein, der Piran den Namen gab
Der Name Piran kommt von der rötlichen Farbe des Steins. Bei Sonnenaufgang und Sonnenuntergang erstrahlt etwa der Glockenturm der Kirche St. Georg, die als Wahrzeichen über der Stadt thront, in Rottönen. Einzigartig sind auch die Steinteppiche von Piran: Mit einer speziellen Legetechnik wurden Plätze, Straßen und Uferpromenaden mit Sandstein bedeckt. Dieser Steinteppich hat die vorteilhafte Eigenschaft, Wasser durchzulassen und damit Überflutungen entgegenzuwirken.
Dass vieles von dieser alten Kulturtechnik vergessen wurde, hängt mit der wechselhaften Geschichte Sloweniens zusammen. Erste Streusiedlungen in der Region des heutigen Piran lassen sich schon im 2. Jahrhundert vor Christus nachweisen, als die Römer das Gebiet eroberten. Erst im 7. Jahrhundert, unter byzantinischer Herrschaft, wurde hier eine befestigte Siedlung errichtet. Die prägendste Zeit war allerdings die venezianische Periode: Von 1283 bis 1797 gehörte Piran zur Republik Venedig. Die venezianische Architektur zieht sich wie ein roter Faden durch das Stadtbild.
Als Slowenien nach dem Zweiten Weltkrieg ein Teil Jugoslawiens war, musste vieles von der kulturellen Identität dem Ideal der „Einheit und Brüderlichkeit“ weichen. „Viele Italiener, die bis dahin an der slowenischen Küste gelebt hatten, wanderten aus. Slowenen aus dem Landesinneren zogen in die Küstenorte“, erklärt Kačič. „Doch diese Menschen hatten bis dahin überhaupt keinen Bezug zum Meer.“ So ging viel Wissen verloren und wurde erst nach und nach wiederentdeckt.
Kačičs Arbeit deckte einen blinden Fleck in der slowenischen Identität auf. Bald entstand die erste Publikation, die die Architektin mit Unterstützung der Stadt Piran veröffentlichte. Das grafisch liebevoll gestaltete Büchlein ist viersprachig: Slowenisch, Deutsch, Englisch und Italienisch. In diesem Jahr folgte eine zweite Publikation sowie eine Ausstellung im Schloss Duino im Friaul.
Historische Gärten wiederbeleben
Das Nachdenken über den speziellen Charakter des Sandsteins geht für Kačič dabei über Architektur hinaus. Ihr Blick ist akademisch und zugleich poetisch. Wenn sie den Sandstein betrachtet, blickt sie 40 Millionen Jahre in die Vergangenheit, als die Schicht aus rötlichem Flysch-Gestein entstand, die die Küstenlinie Sloweniens prägt. Für sie verbinden sich auf diese Weise Natur und Kultur miteinander. Ein natürliches Material, das den Menschen Jahrtausende lang diente. „Wir müssen das alles für die Zukunft erhalten“, sagt Kačič.
Bei ihrem aktuellen Projekt beschäftigt sich die Landschaftsarchitektin mit den historischen Gärten in der Altstadt. „Diese befinden sich mitten in der Stadt, oft verborgen hinter hohen Steinmauern. Sie sind auf mehreren Terrassen errichtet.“ Sloweniens Küste hat viele terrassierte Gärten und Hänge. Oft sind die Steinbefestigungen von dichtem Grün überwuchert oder verschüttet, so dass man sie nur erahnen kann. „Diese Anlagen wurden teilweise jahrzehntelang nicht gepflegt“, erklärt Kačič, die in Kooperation mit der Stadt für die Restaurierung verantwortlich ist.
Wie sollte man sich diesem Kulturerbe annähern? „Am besten sollte man vom Meer aus kommen, wie bei allen Küstenorten“, sagt Kačič. „Von dort aus kann man viel sehen: Warum dieser Ort so gebaut ist, wie er ist. Windrichtung, Sonneneinfall und Geografie bestimmen, warum Schiffe gerade dort anlegen, wo sie es tun. Man sollte das Salz in der Luft schmecken. Das Meer, die Küste, der Stein und die Menschen: Das alles ist miteinander verbunden.“
Ljubiša Buzić