Der nordwestliche Zipfel von Frankreich unterscheidet sich vom Rest des Landes sicher nicht mehr so stark wie früher einmal. Doch die ernsten, aneinander gedrängten Steinhäuser am flachen Land geben immer noch eine Ahnung davon, wie es hier einmal war. Die von Kelten abstammenden Bretonen, die traditionell ganz in Schwarz gegangen sind, galten als die größten Sturschädel, die Abgeschiedenheit der Region und der besondere Zungenschlag haben oft Zweifel genährt, ob das überhaupt noch ein Teil von Frankreich ist.
Dass René Goscinny „Asterix“ und seine renitenten Gallier in die Bretagne versetzte, war sicher kein Zufall. Früher sagte man in diesen Breiten nicht „Merci“, sondern „Bennozh Doue“. Im Finistère, dem „Ende der Welt“ (von lat. finis terrae) hat sich die akut vom Aussterben bedrohte bretonische Sprache wenigstens noch ein bisschen halten können. Ihre Restbestände sieht man noch an den zweisprachigen Ortstafeln.
Der wilde Westen der Bretagne hat die Künstler im 19. Jahrhundert magisch angezogen. Wesentlich war das Jahr 1864, als der amerikanische Maler Robert Wylie die kleine Ortschaft Pont-Aven für sich entdeckte. Anfang der 1880er-Jahre zählte die Künstlerkolonie dort mehr als 100 Personen. Man darf diese Leidenschaft für einen Landstrich aber nicht romantisieren. Die Zurückgezogenheit und die unberührte Landschaft, die eigenbrötlerischen Bewohner – man kann guten Gewissens „Hinterwäldler“ sagen – das raue Meer und das schöne Licht waren damals selbstverständlich lauter gute Gründe für Maler, sich hier niederzulassen und wohl zu fühlen. Viel entscheidender waren allerdings die niedrigen Lebenshaltungskosten in der tiefsten Provinz, wo unter den Künstlern selbst die Habenichtse und die schwer verkäuflichen Außenseiter ein Auskommen fanden.
Kunst und Kulinarik
Der Ort lebt heute noch von seiner malerischen Anmutung, das Flüsschen Aven, das das Dorf durchfließt, sorgt dafür, dass alles hier nahe am Kitsch gebaut ist. Aber mit gerade so viel Stil und einem Rest an Wildheit, dass Pont-Aven nicht süßlich wirkt. Pittoreske Steinhäuser beherbergen Galerien mit Kunstwerken aller Qualitätsstufen und auch so manches Spitzenrestaurant, wie das Rosmadec Le Moulin, dessen kreative Fischküche seit 30 Jahren mit einem Michelin-Stern dekoriert ist. Fische und Meeresfrüchte gehören hier überhaupt zum Alltag, die Austern der Region zählen zu den besten. Hier werden auch noch die kleinen, europäischen Austern gezüchtet. Eine Verkostung direkt beim Produzenten wird schnell zur Schlemmerei, wobei man die Tiere auch mit nach Hause nehmen kann. Laut Züchter Damien Struillou ist es überhaupt kein Problem, die lebenden Austern eine Woche ungekühlt in gut verpackten Kisten zu lagern.
Paul Gauguin kam aber 1886 nicht der Kulinarik wegen nach Pont-Aven. Er suchte den Anschluss an gleichgesinnte Künstler, einen ruhigen Winkel zum Arbeiten und günstige Unterkunft. Seitdem Gauguin das bürgerliche Leben und den damit einhergehenden Wohlstand (er war Börsenspekulant gewesen) mit einem bohèmehaften Künstlerdasein eingetauscht hatte, war die Bretagne ein guter, weil leistbarer Boden für ihn. Zwischen 1888 und 1890 lebte er sogar hauptsächlich hier, 1894, nach seinem ersten Aufenthalt in die Südsee kehrte er nochmals in die Provinz zurück.
Der von Geldmangel geplagte, ruhelose Maler fand hier Inspiration: Im Meer, der Landschaft und den Leuten, aber Gauguin löste sich während seiner Aufenthalte in Pont-Aven und dem am Ozean gelegenen Le Pouldu allmählich von Realismus und Impressionismus. Natürlich: Man findet zahllose bretonische Spuren und Themen in seinen Gemälden, auch den ganz berühmten. „Der gelbe Christus“ (1889) soll von der schlichten Holzskulptur in der Kapelle von Trémalo inspiriert worden sein, die typischen bretonischen Kalvarienberge aus Stein finden sich ebenso auf den Gemälden wie die Trachten, die Landschaften und das Leben der Bauern und Fischer.
In „Jakob ringt mit dem Engel“, einem von Gauguins Hauptwerken tragen die Beobachterinnen der Bibelszene die typischen Hauben der Bretagne. Für die besten Maler war die Bretagne aber nichts, was man realistisch abmalte. Beispielhaft sieht man das in Pont-Aven, im „Wäldchen der Liebhaber“, das Gauguins Malerkollege Paul Sérusier 1888 in sein epochales Werk „Der Talisman“ verwandelte, eines der wichtigsten Gemälde der jungen wilden Rebellen von der Künstlergruppe der Nabis. Ein wildes Spiel der Farbflächen, nur mehr entfernt an sein Motiv erinnernd.
Für alle nicht-genialen Besucher heute werden Meer und Getreidefelder nicht Ausgangspunkte für Kunstwerke, sondern bilden den Hintergrund für schöne Spaziergänge. Nicht nur die Gegend um Pouldu, wo man am Meer einen „Chemin des Peintres“, einen „Weg der Maler“ installiert hat, auch die Städte sind eine Reise wert. Die Querköpfigkeit der Bretoninnen und Bretonen zeigt sich nämlich eventuell auch an ihren größten Bauwerken. In der wunderbaren Innenstadt von Quimper erhebt sich mitten aus schiefen Fachwerkshäusern die Kathedrale St. Corentin. Die hat einen Knick im Längsschiff. Man stellt sich da nur zu gern vor, dass sich die von beiden Seiten aufeinander zubauenden Bretonen nicht über die exakte Ausrichtung einigen konnten.
In den lokalen Museen gibt es ausführlich Gelegenheit, die kunstvollen Stickereien auf den schwarzen Trachten zu bewundern. Gerade in einer vormalig so entrischen Gegend, sehnte man sich nach Farbe und Liebreiz und verzierte die düstere Tracht mit herrlichen Handarbeiten. Auch am Ende der Welt lebte die Schönheit.