Der gesamte Friedhof ist mit Blumen geschmückt, überall leuchtet es orange. Draußen hört man die leise, die lebhafte Blasmusik der Bandas, die unermüdlich bei Paraden durch die Gegend ziehen. In all dem Trubel gibt es trotzdem berührende Momente: Vier Kumpels nehmen mit ein paar Dosenbieren am Grab ihres Freundes Platz, stoßen auf ihn an und stimmen, begleitet von der Gitarre, seine Lieblingslieder an. Auch ihm machen sie ein Bierchen auf, das sie ihm direkt aufs Grab stellen.

Der mexikanische Día de los Muertos, der Tag der Toten, ist ein Fest der Begegnung zwischen den Welten, ein rauschender Karneval zu Ehren der Verstorbenen, die an einem Tag im Jahr zurückkehren zu ihren Freunden und Verwandten, und mit ihnen gemeinsam ein fröhliches Wiedersehen mit Musik, Tanz und gutem Essen feiern.

Vor allem die Weltkulturerbestadt Oaxaca (ausgesprochen „wah-ha-kah“) de Juárez im Südosten gilt als der ultimative Ort, um den Tag der Toten zu erleben. Was sich möglicherweise schon zu sehr herumgesprochen hat: „Früher war es noch viel schöner“, erzählt uns eine ältere Touristin aus Florida, die jedes Jahr herkommt und den Boom des Fests in den letzten Jahren miterlebt hat – seit 2015 James Bond durch eine fiktive Parade in Mexiko-Stadt marschierte (die erst seither aufgrund der großen Nachfrage wirklich abgehalten wird), sich dann auch noch Batman und Superman in einer Totentags-Szenerie duellierten und 2017 der Animationsfilm „Coco“ rund um den „Día de los Muertos“ ins Kino kam, werden die Besucher immer zahlreicher.

Studentenblumen und Skelette

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Der Boom sorgte aber auch für ein irrwitziges Spektakel, an dem wir uns nicht sattsehen können, eine schaurig-schöne Mixtur aus Festen aus der halben Welt, denn die Amerikaner bringen natürlich auch Halloween mit zur großen Totenparty: Es trifft also ein aztekischer Brauch zum Erntedank, den die Missionare später mit Allerheiligen zusammenlegten, weil sie ihn ohnehin nicht verdrängen konnten, auf eine Tradition der Kelten, die ihre irischen Nachfahren in die USA brachten. So trifft man zwischen Tausenden wunderschön geschminkten und gekleideten Catrinas – die Karikatur aus den 1910er-Jahren gehört fest zum mexikanischen Totenkult dazu – hin und wieder auch einen Michael Myers, einen Zombie oder einen Dracula.

Ende Oktober verwandelt sich Oaxaca in ein einziges Blütenmeer aus orangefarbenen Studentenblumen, überall finden sich freundliche Skelette als Dekoration, bis hin zum Knochenhund, überall hängt Papel Picado, die traditionelle Girlande aus ausgestanztem Papier. Zahlreiche überlebensgroße Statuen mit fröhlichen Toten stehen als beliebte Fotospots in der Stadt herum. Vor dem Rathaus sind kunstvolle Skulpturen aus Sand und Blüten aufgelegt, und wirklich jedes Hotel, jedes Restaurant, jedes Geschäft (und natürlich auch jede Privatwohnung) hat ihren eigenen Altar aufgebaut, mit Fotos der lieben Verstorbenen und vielen Ofrendas.

Diese Opfergaben bestehen aus Essen und Trinken, das die Verstorbenen besonders gerne mochten. Auffällig oft sind übrigens Cola, Bier und Schnaps darunter, ein Muss sind aber süße Calaveras, bunt dekorierte Totenschädel aus Zucker, und das Pan de muerto, das „Brot des Toten“, das erstaunlicherweise geschmacklich sehr an unsere Osterpinzen erinnert.

Süßes oder Saures

„Natürlich wissen wir, dass die Toten das nicht wirklich essen“, hat uns Sofia ein paar Tage zuvor erklärt. Bei ihr haben wir eine Food-Tour durch Puebla, gleich im Süden von Mexiko-Stadt, gebucht, bei der wir das traditionelle Brot verkosten dürfen. „Aber wir glauben daran, dass sie ein bisschen vom Geruch aufnehmen“, erklärt sie. Deshalb sind besonders süße Sachen, wie die zuckrigen Totenköpfe, sehr beliebt. In Puebla kann man sie, liebevoll aufgestapelt, in der „Calle de los Dulces“, der traditionellen Zuckerbäcker-Straße, erstehen. Auch Sofia sorgt hier gleich für die Ofrendas ihrer Familie vor.

Zurück nach Oaxaca. Hier nehmen die Feierlichkeiten von Tag zu Tag an Intensität zu, je näher der 1. November rückt. Immer mehr Paraden, angeführt von temperamentvoller Blasmusik und mit hüpfenden, riesigen weißen Ballons an Stangen, ziehen durch die Stadt, jeder Ortsteil hat seine eigene. An etlichen Ständen bieten junge Frauen den Touristen an, sie mittels Make-up in lebendige Tote zu verwandeln, oder basteln Blumenkränze mit orangen Studentenblumen. Vor der Kathedrale steigt täglich eine laute Party, hin und wieder tragen Geistliche eine Marienstatue in einer Prozession durch den Trubel.

Es ist einfach großartig, man kommt nicht mehr aus dem Staunen heraus. Dabei muss man beim Gehen aufpassen, denn die mexikanischen Kinder haben den Halloweenbrauch des „Trick or Treat“ für sich adaptiert, indem sie sich einfach auf die Straße legen und „tot spielen“, daneben ein kleiner Kübel für Spenden. Dabei wird übrigens auch gerne Geld angenommen.

Bevor es für uns nach den ungestümen Feierlichkeiten weiter in den Osten, nach Chiapas und Yucatan, geht, tanzen wir noch ein letztes Mal mit der Parade ins Hotel, die wild aufspielende Banda dabei immer voran, und stoßen mit Mezcal an, den uns Einheimische unterwegs tanzend ausgeben. Mitnehmen werden wir auf jeden Fall Erinnerungen, die wir nie vergessen werden, bis ans Lebensende. Und vielleicht sogar darüber hinaus.