Vor den Zugfenstern zieht eine der abgelegensten Regionen der Erde vorbei, drinnen werden Bloody Marys und erlesene Weine gereicht. Während in der Loungebar die Cocktails gemixt werden, lassen die Gäste den Blick über die unbewohnten Weiten des australischen Outbacks wandern. Sie wissen, dass sie gerade einen Lebenstraum vieler Globetrotter verwirklichen: Einmal mit „The Ghan“ Australien der Länge nach durchqueren.
Der legendäre Zug, der kürzlich seinen 95. Geburtstag feierte, verbindet die südliche Metropole Adelaide in South Australia mit Darwin im tropischen Top End des Northern Territory. Das sind 2979 Kilometer größtenteils durchs Niemandsland, inklusive des „Red Centre“ mit seiner weltbekannten roten Erde.
Ein wahrhaft monumentaler Trip. Oder wie der Betreiber „Journey Beyond Rail“ es etwas vollmundig formuliert: „The Ghan verspricht Zugang zu Teilen Australiens, den kein anderer Urlaub bieten kann – die perfekte Balance zwischen Komfort und Abenteuer.“ Tatsächlich wird man beim Blick auf die karge und gleichzeitig atemberaubende Unendlichkeit des Outbacks das Gefühl nicht los, hier alleine völlig verloren zu sein.
Längster Passagierzug der Welt
Inklusive mehrerer Stopps und Ausflüge – etwa in die Opal-Hauptstadt Coober Pedy oder in den Nitmiluk-Nationalpark mit seinen hohen Sandsteinfelswänden – dauert die gesamte Reise vier Tage und drei Nächte. Es können auch Teilabschnitte gebucht werden, was das kostspielige Unterfangen etwas erschwinglicher macht.
„Bei voller Auslastung ist der Zug fast einen Kilometer lang und damit der längste Passagierzug der Welt“, sagt Journey Manager Tom Borthwick. Bis zu 50 Angestellte kümmern sich um das Wohl der maximal 220 Gäste. Zudem sind Techniker mit an Bord, um mögliche Stromausfälle mitten in der Wildnis oder andere Probleme umgehend zu lösen.
Abgesehen von den Kabinen und Suiten und der erwähnten Lounge, gibt es das „Queen Adelaide“-Restaurant und ein weiteres eigens für die Platinum-Klasse, die die doppelte Kabinengröße bietet. Gehobene Küche mit ausgewählten Menüs ist ein Markenzeichen des „Ghan“ – von Crocodile Dumplings aus echtem Krokodilfleisch bis zum gegrillten Barramundi.
Ebenfalls typisch: der Vintagecharme lange vergangener Eisenbahntage, den die Holzverkleidung, aber auch kleinste Ausstattungsdetails versprühen – von den zierlichen Türklinken, über die auf alt getrimmten Panoramafenster bis zu den Ledersesseln in der Lounge. Bei all dem kommen die Annehmlichkeiten des 21. Jahrhunderts nicht zu kurz. „The Ghan“ ist ein Luxuszug.
Viele Sachbücher, aber auch Romane wie Judy Nunns „Spirits of the Ghan“, wurden schon über die rollende Legende verfasst. „Es ist eine langsame, besänftigende, zeitlose Welt, die eher einer Kreuzfahrt als einer Zugreise gleicht“, schwärmt Michael Frayn in „The Ghan. Great Train Journeys of the World“.
Als Kamele das Outback eroberten
Die ikonische knallrote Lokomotive zieht durchschnittlich zwischen 30 und 40 silberfarbene Edelstahlwaggons wie eine gigantische Schlange durch das Land. Auf jedem Abteilwagen prangt der Schriftzug „The Ghan“ mit Kamel-Logo in der Mitte. Denn die Tiere, die eigentlich so gar nicht nach Down Under passen, spielen eine wichtige Rolle in der Geschichte des Fernreisezugs. Speziell, was seinen kuriosen Namen betrifft.
Das erste Kamel des Kontinents kam mit dem Schiff von den Kanarischen Inseln und betrat 1840 in Adelaide australischen Boden. In den folgenden Jahrzehnten wurden die genügsamen Lastentiere vor allem bei Expeditionen ins Landesinnere sowie zur Erschließung entlegener Regionen eingesetzt.
Als ab 1872 die transaustralische Telegrafenleitung gebaut wurde, die Port Augusta mit Darwin verbinden sollte, waren es Kamele, die die Baumaterialien und Lebensmittel transportierten. „Sogar das massive Klavier hat ein Kamel auf seinem Rücken hergeschleppt, das muss man sich mal vorstellen“, sagt die Deutsche Cella Livingston, die die alte Telegrafenstation in Alice Springs leitet, wo das Instrument noch heute steht.
Wie „The Ghan“ zu seinem Namen kam
Die Kamelführer wurden pauschal Afghans genannt, dabei stammten die meisten nicht aus der Gegend des heutigen Afghanistans, sondern anderen Ländern des Nahen Ostens. Ihre Karawanen waren erneut unverzichtbar, als ab 1878 die ersten Gleise für die geplante Eisenbahn in Richtung Norden verlegt wurden.
„Wie genau der Zug seinen berühmten Spitznamen erhielt, wird wohl nie gänzlich geklärt“, ist auf einer Gedenktafel am Bahnhof von Alice Springs zu lesen, neben der eine Kamelskulptur steht. So sei er in seiner illustren Geschichte schon als „The Afghan Express“, „The Afghan Special“ und „The Royal Ghan“ bezeichnet worden. Am Ende setzte sich das schlichte „The Ghan“ durch.
Mit 100 Passagieren startete am 4. August 1929 der erste Zug in Adelaide in Richtung des Örtchens Stuart, heute als Alice Springs bekannt. Hier war lange Zeit für „The Gahn“-Reisende Endstation. Erst seit 2004 ist die 1420 Kilometer lange zweite Hälfte der Strecke in den Norden in Betrieb.
„Was ich besonders an meinem Job liebe, ist, dass dies eine echte Traumreise für die Gäste ist und ich Teil von dessen Verwirklichung sein kann“, sagt Caitlin Hill. Die 25-Jährige arbeitet im Service und mixt hinter der Bar der Lounge gerade eine Bloody Mary.
Derweil schauen die Gäste gebannt aus den Fenstern auf die rote Erde und die unendlichen Weiten Australiens, wo im Takt des ratternden Zugs Termitenhügel, Spinifex-Gräser und bunte Wüstenblumen vorbeiziehen. Dann bricht die Nacht herein und die Passagiere machen es sich in ihren weiß bezogenen Betten bequem. „The Ghan“ aber fährt weiter durch dieses uralte Land, beleuchtet nur von der Milchstraße und Millionen Sternen.
Carola Frentzen