Mit einem dicken weißen Schneeteppich überzogen, präsentieren sich Sirkkajärvi und Levijärvi an diesem März-Tag. Nichts lässt vermuten, dass unter den Fußspuren von Mensch und Tier im Schnee, zwei Seen dem Winterschlaf verfallen sind. Langsam überwinden die ersten Sonnenstrahlen die Bäume, lassen ein funkelndes Schauspiel beginnen: Die eisigen Kristalle scheinen einen Tanz im goldenen Morgenlicht aufzuführen. Blaue Farbnuancen werden von gelben abgelöst. In der Ferne, wo man das Ufer vermuten könnte, zieren hier und da einzelne Holzhäuser in Rot, Gelb und Grau die Landschaft. Finnlands Wildnis in voller Pracht. Über den Häusern thront in nobler Blässe der Mond. Es wirkt, als wolle er sich mit der Sonne auf einen kurzen Wortwechsel am Firmament treffen, bevor er sich im immer intensiver werdenden Licht auflöst. Stille – nur der eisige Wind ist zu hören, eine Ruhe, die die Sinne schärft.

Nicht weit vom Levijärvi windet sich der Ounasjoki, einer der längsten Flüsse Finnlands, durch die flache Landschaft. Flussaufwärts, am Ufer des reißenden Gewässers, wartet Rentierfarmerin Johanna Hietanen in Köngäs. Ursprünglich gehörten sie und ihre Familie zu Europas einzigem indigenen Volk: den Samen. Ein Name, der so viel wie Sumpfleute bedeutet. Sápmi, das Land der Samen, hatte nie eine eigene Staatlichkeit und ist heute zwischen den vier Staaten Norwegen, Schweden, Finnland und Russland aufgeteilt. In der Vergangenheit kam es zu Konflikten zwischen dem indigenen Volk und den Nationalstaaten, da die Länder ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen verfolgten und die Samen teils riesige Gebiete für Siedlungen oder Weideland beanspruchten. Immerhin zogen sie als Nomaden durch die karge Landschaft. Heute sind sie meist sesshaft und nutzen moderne Technik wie Mobiltelfon, Computer oder Social Media.

Mehr Rentiere als Menschen

Selbstbewusst präsentiert sich Johanna in ihrer blau-roten Arbeitstracht, die in mühevoller Handarbeit gefertigt wurde. Ihr Gesicht verrät, dass das Leben hier in einem der dünn besiedeltsten Länder Europas nicht immer leicht ist. „Ich bin Finnin“, antwortet sie voller Stolz auf die Frage welcher Nationalität sie angehöre. Johannas Vorfahren mögen einst staatenlos gewesen sein, doch die Familie ist längst sesshaft geworden. Den Betrieb mit 30-jähriger Erfahrung in der Rentierzucht hat sie von ihren Eltern übernommen. Die Haupteinnahmequelle sind die Rentierschlittenfahrten mit Touristen. Hietanen kennt alle ihre 160 Rentiere mit ihrem Namen; jedes habe seine eigene Persönlichkeit. Kein Wunder, denn die Samen sind seit jeher eng mit der Natur verbunden. Es dauert drei bis fünf Jahre, bis man ein Rentier für die Schlittenfahrt einsetzen kann – eine harte Arbeit, die sich lohnt. Auch wenn die Zeiten immer schwieriger werden, brennt Johanna für die Arbeit mit den Tieren. Dieser Ort ist nicht nur ihr Zuhause, sondern auch ein Symbol für ihre Wurzeln und die Heimat, die sie sich selbst geschaffen hat.

Sápmi, vielfach auch Lappland genannt, ist einzigartig und bedeutet viel mehr als eisige Kälte, unter Schneemassen begrabene Bäume oder Nordlichter. Im hohen Norden, wo mehr Rentiere als Menschen leben, finden sich sowohl Ruhesuchende als auch Rastlose in einem Abenteuer wieder. Hier gibt die Natur den Takt vor – mal unbarmherzig und rau, mal wunderschön, in einem Land voll urwüchsiger Wildheit.