Gewöhnungsbedürftig? Grauslich? Gesund? Das hochmineralisierte Wasser, das hier mit 40 bis 74 Grad aus einem Dutzend, im Stadtzentrum Karlsbads verteilten, Brunnen sprudelt, zeichnet jedenfalls ein intensiver Eigengeschmack aus. Gut geht anders. Aber wenn man es trinkt, soll es einem nicht nur gut, sondern sogar besser gehen. Die 15 (12 davon trinkbar) Quellen helfen demnach angeblich gegen Leber-, Magen- und Gallenprobleme, Diabetes, Gicht, Übergewicht und auch sonst noch allerhand Wehwehchen.
Das versprechen hier Ärzte, Fremdenführer, Kellnerinnen, der Taxifahrer und die Souvenirverkäuferin. Eigentlich jeder. Und dazu noch ganze Heerscharen von prominenten Besuchern, die in Karlsbad seit dem 14. Jahrhundert Kur-, Urlaubs-, Arbeits- oder Staatsbesuche absolviert haben. Die Liste ist lang und bunt.
Die Prominenz sprudelt nur so
Sie beginnt beim Namensgeber der Stadt, König Karl IV., der hier – so will es die Legende – nach einem Jagdunfall zufällig die heilende Wirkung der Thermalquellen erkannte. Er legte damit den Grundstein für einen über Jahrhunderte andauernden Hype, der Karlovy Vary zum größten Kurbad Tschechiens gemacht hat.
Die wachsende Popularität zog auch Prominente an. Zar Peter der Große, Kaiser Wilhelm II. und Kaiser Franz Joseph waren hier, Richard Wagner und Friedrich Schiller ebenfalls, Karl Marx und Sigmund Freud kamen, später Präsidenten wie Michail Gorbatschow und Václav Havel.
Die lustigste Anekdote zur Stadtgeschichte steuerten allerdings Beethoven und Goethe bei, als sie mit einer Kutsche den dunkel schimmernden, sich träge durchs Zentrum windenden Fluss Tepla entlangfuhren und dabei von Kurgästen erkannt und begrüßt wurden. „Das langweilt mich“, raunzte Goethe. Er brauche sich nichts daraus zu machen, entgegnete Beethoven mit fast schon symphonischer Trockenheit: „Vielleicht bin ich es, den die Leute grüßen!“
Wen die Leute sicher erkannten, war 2006 Daniel Craig alias James Bond. Im „Kaiserbad“ und dem mondänen Grandhotel Pupp wurden Szenen von „Casino Royal“ gedreht.
Als der Rubel rollte
Davor und danach besuchten auch immer mehr Russen die 50.000 Einwohnerstadt am Fuße des westböhmischen Erzgebirges. Sie kamen aber nicht nur als Gäste, sondern auch als Investoren und spülten Luxus und Dekadenz in den Thermalort.
Bis zu zwanzig Prozent der denkmalgeschützten Altstadt samt zahlreicher Hotels, Kuranstalten, Privatvillen und Edelboutiquen sollen zu Höchstzeiten im Besitz von Russen gewesen sein. Sie waren unter den tschechischen Einheimischen zwar nicht sonderlich beliebt, aber man lebte gut mit und von ihnen. In der Hochsaison gab es Direktflüge aus Moskau, St. Petersburg und Jekaterinenburg – auch das mittlerweile eine historische Episode.
Krise in den Kolonnaden
Denn nach der mit keinen Gästen und großen Verlusten übertauchten Pandemie kam die nächste Katastrophe: Putins Angriff auf die Ukraine. Durch das damit verbundene Reiseverbot für Russen blieben nicht nur kaufkräftige Großgruppen aus; diejenigen, die Immobilien besaßen, trachteten, diese loszuwerden. Der Rubel rollte nicht mehr.
Die seit 2021 auf der Liste der Unesco-Welterbeliste stehende Stadt wurde zum Kriegsverlierer. Dazu gesellten sich eine hohe Inflation und explodierende Energiepreise. Sie machten die Krise zum Dauergast zwischen den prachtvollen Jugendstilhäusern, über 170 Hotels und Herbergen und den Kolonnaden mit ihren Trinkbrunnen.
Rund 18 Tonnen Mineralien sollen mit dem Wasser aus 2000 Meter Tiefe täglich an die Oberfläche gespült werden. Jede Quelle heilt etwas anderes, die „zehn Schritte, ein Schluck“-Dosierung gilt als Universalrezept. Und wenn nichts mehr hilft: Der Kräuterlikör Becherovka ist unübersehbar ein Kind der Stadt.
Wem der mittlerweile zurückgekehrte Trubel aus Touristen aus Amerika, Asien und Westeuropa zuviel ist, kann durch den Kurwald auf den Hügel hinter dem Grandhotel Pupp „flüchten“. Fünf Euro kostet das Standseilbahnticket, jede Menge Kalorien die alternativen 150 Stufen hinauf zum Aussichtsturm Diana, dem Schmetterlingshaus und Minizoo. Das Panorama ist reizvoll – auch wenn es Goethe fadisiert hat. „Eine kleine Liebschaft ist das einzige, was uns einen Badeaufenthalt erträglich machen kann, sonst stirbt man hier vor Langeweile“, soll er einmal gegrantelt haben.
Klaus Höfler