Wenn Antonio – klassisch in der Livree – die Gäste auf der bald 100 Jahre alten Treppe des „Hotel Italia Palace“ empfängt, mögen nostalgische Gedanken aufkommen. Nur wenige Meter vom zweitältesten Hotel Lignanos entfernt läutete man mit dem Bau der ersten Badeanstalt im Jahre 1903 die Badekurära der beliebten Adriadestination ein. Das Badehaus gibt es nicht mehr, aber das im selben Jahr erbaute Hotel Marin, die erste touristische Herberge, steht noch an seinem Platz am östlichen Ende des Lungomare Trieste und verweist mit einer marmornen Tafel stolz auf seine Pionierstellung. Bald zog man mit privaten Prachtvillen an der Strandpromenade nach.
Wie ein Außenseiter aus der Zeit des ersten touristischen Aufschwungs mutet das wohl schönste, mit einer Mixtur aus Stil-Elementen verspielte, schönbrunngelbe Architekturjuwel neben den sonst eher nüchternen Hotelbauten an: „Die Villa Zuzzi, deren Architekt unbekannt ist, ließ sich der einstige Direktor der Società Popolare Bagni hier bauen. Später diente sie sogar zwischendurch als Rathaus“, lässt Giovanna Tosetto, Grande Dame der Guides Friaul-Julisch Venetien, wissen.
Einen Muschelwurf entfernt präsentiert sich quasi als Zeitsprung in die 1970er-Jahre die ins Meer verlaufende „Terrazza a Mare“, allseits als „Auster“ bekannt. Derzeit wird dieses Wahrzeichen Lignanos einem millionenschweren Facelifting mit Aussicht auf Neueröffnung 2026 unterzogen. Dessen Architekt Aldo Bernardis soll sich bei seinem nüchternen Bau, wo schon so mancher Gast seinen Aperol in der Abendsonne genoss, vom zeitgleich errichteten Opernhaus in Sydney inspirieren haben lassen.
Kassenhäuschen und Villen
Er reiht sich in die Riege ambitionierter italienischer und besonders friulanischer Architekten der 1950er- bis 1970er-Jahre ein, die Lignano einzigartige, den klassischen Sonnenanbetern bis heute selten bewusste Architekturschätze bescherten. Um diese hautnah zu erkunden, empfiehlt es sich, ab dem Stadtteil Sabbiadoro per Drahtesel auf den gemütlichen Radwegen Richtung Pineta zu strampeln.
Vorbei geht es an den „Uffici Spiaggia Pineta“, jenen Kassenhäuschen, die den Urlaubstraum auf der Sonnenliege wahr werden lassen. Seit einigen Jahren zieren Mosaikwerke der Schule Spilimbergo deren Wände. Nummer 3 veranschaulicht das große städtebauliche Werk des Udineser Visionärs Marcello D’Olivo: die Spirale von Pineta. Er legte 1955 den Stadtteil inmitten der Pinienwälder spektakulär in Form einer Schnecke an. Statt Via und Strada heißt es hier Arco (Bogen) und Raggio (Strahl). Der Natur im völligen Einklang mit Architektur Respekt zollen, war dabei seine Prämisse. Stets Grün aufgrund der Krümmungen im Blickfeld zu haben, sein Credo.
Der einzigartige Grundriss, der weltweit Aufsehen erregte, fasziniert. Nicht weniger erfreuen heute den Sonnenradler die dutzenden Villen, die man hier während der 1950er- und 1960er-Jahre mit höchstem architektonischem Anspruch erbauen ließ, zum Teil von D’Olivo selbst. Seine Villa Mainardis besticht u.a. durch ihre runde Form, nicht weniger die benachbarte Villa Spezzotti durch futuristisch anmutende Außergewöhnlichkeit.
Sozusagen als lineares Rückgrat setzte D’Olivo „Il Treno“, den Zug, der Lignano-Gästen als Shoppingmeile von Pineta bekannt ist, in seine „Schnecke“. Dort kann man heute in einer Open-Air-Ausstellung die Geschichte der Stadtplanung und Villen nachvollziehen. Seinen wohl legendärsten Moment erlebte das zum Meer hin gezogene Gemäuer noch als Baustelle im April 1954. Ernest Hemingway, für seine Friaul-Leidenschaft bekannt, ließ sich hier bei seinem ersten und einzigen Kurzbesuch in Lignano das spiralenförmige Stadtprojekt per Skizzen vom Architekten erklären und man vermachte ihm gleich eine Parzelle.
Zum Hausbau kam es nie, aber Hemingway und Lignano bilden seither einen Mythos. Und gerne erinnert man sich an seinen entzückten Ausspruch, den er am goldfarbenen Strand tätigte: „Aber das ist Florida, und zwar das italienische Florida!” Ja, das Gute liegt so nah.
Regina Rauch-Krainer