Ein Detail der letzten WhatsApp-Nachricht von Miha irritiert uns. Wir sollen die Urinflasche nicht vergessen, schreibt er zwei Tage vor der Abreise. Urinflasche?! Der dann doch noch in die Gänge kommende Hausverstand beantwortet die Frage, warum man für so ein großes Abenteuer auch Kleinigkeiten braucht. Wer aus einer Hütte im Wald heraus Braunbären beobachtet, sollte selbst möglichst unbeobachtet, also in der Hütte bleiben. Und deshalb muss, wenn es sein muss, eine Urinflasche herhalten.
Miha Mlakar ist im Frühling in seine zehnte Saison als Betreiber der Fotoansitzhütten „Slovenianbears“ gestartet. 24 hat er bisher in den Wäldern rund um seinen Heimatort Loški Potok im Süden von Slowenien errichtet. Und in einer davon irgendwo im Nirgendwo hocken wir jetzt, weil sich das Kleine-Zeitung-Fotograf Helmuth Weichselbraun seit Jahren gewünscht hat. Die Urinflasche war nie Teil seines Herzensanliegens, ist jetzt aber natürlich mit von der Partie.
Bären haben einen Geruchsinn, der ernsthaften Schätzungen zufolge 100.000-mal besser funktionieren soll als menschliche Nasen. Deshalb haben alle Fotoansitzhütten lange Kamine. Das Plastikrohr für unsere Abluft schlängelt sich den Stamm des nächsten Baumes hinauf bis in die Wipfel. Es ist etwas überraschend knallrot, was den Bären laut Miha aber nichts ausmacht, weil sie viel schlechter sehen als riechen können.
Laute Zweifel an der Aussage sind unangebracht. Der „Slovenianbears“-Chef hat uns eingebläut, kein Wort zu wechseln und auch sonst absolut ruhig zu sein. Handy lautlos, Vibration aus! Den wenig vertrauenserweckenden kleinen Riegel, der die Hüttentür von innen verschließt, sollen wir erst wieder für ihn öffnen. Erkennungszeichen sei das Motorengeräusch seines Geländewagens, Bären haben keinen Führerschein. Das klingt einleuchtend.
Miha verstreut draußen noch eine Handvoll Leckerli für die Bären: Maiskörner. Das bisschen soll reichen? Die Frage ist noch nicht zu Ende gedacht, da signalisieren uns die Rücklichter von Mihas Auto, dass er sich nun ein paar schöne Stunden außerhalb des Waldes machen wird, während wir in gespannter Stille auf der Lauer liegen. Die Hütte hat nur vorne Fenster, jedes mit einem Loch, um ein Teleobjektiv durchzustecken. Das Warten beginnt und mit ihm das stumme Schönreden: Wenn das nichts wird, ist es wenigstens der ruhigste Nachmittag unseres Berufslebens gewesen.
Die Meditation hinter Feldstecher und Fotokamera findet ein jähes Ende. In etwa 50 Meter Entfernung sind die ersten Bären aufgetaucht, offenbar Mama Petz mit zwei Petzis. Wir merken rasch: Die imposanten Tiere – ein ausgewachsener Bär kann bis zu 550 Kilo wiegen, eine Bärin bis zu 250 – gehören trotz ihrer Größe zu den schüchternsten. Knackt ein Ast oder flattert ein Vogel, schrecken sie sofort auf und strecken die Schnauze in die Luft, um zu wittern, was los ist.
Während der fast fünf Stunden in der Hütte beobachten wir ein ständiges Kommen und Gehen. Die Tiere scheinen sich schon von weitem zu riechen. Egal ob die Neuankömmlinge größer oder älter sind, die meisten Bären trollen sich, wenn andere auftauchen. Einmal klettert ein Junges beeindruckend schnell auf einen Baum, womit endgültig klar ist, was man bei einer Begegnung in freier Natur nicht machen sollte.
Wir können nicht sagen, wie viele Bären wir an diesem Nachmittag gesehen haben. Einige sind wohl öfter an unserem Versteck vorbeispaziert. „Sie sollten Namensschilder tragen“, witzelt Helmuth später beim Abendessen im Landgasthaus Ana in Loški Potok. „Pures Glück“, entgegnet Miha. Obwohl er den Wald rund um seine Hütten mit Wildkameras verwanzt hat und jede Bewegung aufs Handy gemeldet bekommt, gibt es keine Garantie, dass seine Gäste wirklich das gewünschte Motiv zu Gesicht bekommen.
In Slowenien leben etwa 1000 Bären, besonders viele um Loški Potok und in Kočevje, der ehemaligen deutschen Sprachinsel Gottschee. In den Wäldern um Mihas Hütten werden sie nicht gejagt, er hat einen Deal mit den Waidmännern. „Die Bären sind ein Wirtschaftsfaktor. Ohne sie hätten wir hier keinen Tourismus.“ Nach und vor ihrem Winterschlaf werden die Bären im Wald gefüttert, zum Beispiel mit Äpfeln. „Sie sind und bleiben trotzdem Wildtiere“, stellt der Ansitzhütten-Betreiber klar.
Wie vielen Bären ihm schon ohne Trennwand gegenübergestanden sind? Der 39-Jährige überlegt. „Vielleicht 3000.“ Zwischenfälle? Nur dreimal habe es Drohgebärden einer Mutter mit Jungen gegeben. „Wer in unserer Region lebt, begegnet Bären immer mit Respekt.“ Ein guter Tipp, wahrscheinlich sogar noch besser als der Hinweis mit der Urinflasche.