Türkisblaues Wasser und weiße Strände. Ein Karibik-Klischee am westlichsten Zipfel Europas, „von wo es bis New York nur noch Wasser gibt“, wie der Autor Heinrich Böll in seinem „Irischen Tagebuch“ schrieb. Auf der irischen Insel Achill scheint nicht allzu häufig die Sonne. „Neun Monate hat es nur geregnet“, heißt bei Gesprächen in Ted’s Pub. Die an einer der „Hauptverkehrsadern“ gelegene Gaststätte, ist Dreh- und Angelpunkt für das Sozialleben der kleinen Insel. Hier kennt so ziemlich jeder jeden und je nach Vorhersage gibt es nur ein Thema: das Wetter.

Aber jetzt steht über Achill keine Wolke. Irgendwann leuchten auch die so bleichen Iren. In Krebsrot. „Kompensieren“ müsse man nach einer so langen Leidenszeit, lautet die einhellige Meinung. Da gutes Wetter selten lange anhält, warten die Einheimischen mit der höchstmöglichen Anzahl an Aktivitäten auf. Auf den Minaun Heights, dem höchsten Punkt der Insel, schleppen stattliche Männer Campinghocker durch die Landschaft. Mit Blick auf den Strand in Keel, an dem sich andere Landsleute in der Sonne räkeln und im Meer baden, stößt man mit Guinness aus der Dose an.

So viele Menschen sind die Schafe nicht gewohnt. Erstaunt, aber auch mit Skepsis im Blick, verfolgen die heimlichen Herrscher der Insel das Treiben. Als sich die Sonne senkt, sind die wandernden Wollknäuel wieder allein. Die Zweibeiner zieht es bei sinkenden Temperaturen wieder in gewohnte, holzverkleidete Umgebungen. Ob nun in Achills kleinsten Pub bei Lynott’s oder zurück zu Ted’s. Kohleöfen wärmen von außen, die Getränke von innen.

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Unter sich wollen die Iren dabei nur selten bleiben. Gesprächspartner findet man rasch. Auch wenn wegen der stets guten Livemusik meist etwas lauter geschrien werden muss. Dabei hilft es jedoch nicht, aus dem benachbarten England zu stammen. Der „orange man“ ist in einem der letzten verbliebenen Gälisch-sprechenden Flecken Irlands höchstens toleriert.

„Vor ein paar Jahren haben einmal ein paar Briten vor dem Haus eines Nachbarn angehalten und nach dem Weg gefragt“, erzählt der 34-jährige Owen. „Paddy, wo geht’s hier zum Strand?“, soll einer gerufen haben. „Woher kennt ihr meinen Namen?“, fragt der Nachbar, wissend, dass „Paddy“ einem nicht liebevoll gemeinten „Piefke“ entspricht. „Einfach erraten“, antwortet der Brite. Trockener irischer Konter: „Dann errate doch auch den Weg zum Strand!“

Wer hingegen aus dem deutschen Sprachraum kommt, wandelt oftmals auf den Spuren von Heinrich Böll. Der Deutsche verbrachte in den 1950er- und 1960er-Jahren mehrere Urlaube auf Achill. Böll beschreibt eine Bahnfahrt von Dublin nach Westen. Anhand der in jedem Provinzbahnhof „ausgeladenen Zigarettenballen“ schätzt er die „Größe des Hinterlandes“ ab. Rauchen soll damals eine der Lieblingsbeschäftigungen der Iren gewesen sein. Sogar Böll zeigte sich damals freudig überrascht, dass auch im Kino noch gequalmt wurde. Heute zügeln Schachtelpreise von 17 Euro dieses Laster.

Der Strand von Dugort
Der Strand von Dugort © IMAGO/Makasanaphoto

Spuren der Vergangenheit

Im verlassenen Dorf Slievemore, das schon zu Lebzeiten Bölls lang verfallen war, erinnert man an das Erbe, das der Schriftsteller der Insel hinterlassen hat. Vermochte dem Kölner damals niemand zu erklären, weshalb nurmehr die kargen Steinmauern übrig waren, führt nun ein Böll-Wanderweg durch das „Skelett einer menschlichen Siedlung“. Armut, Hunger und Krankheit besiegelten, wie vielerorts in Irland, das Schicksal Slievemores.

Auch aus Achill machten sich viele Auswanderer nach Übersee auf. Ihre Nachfahren kehren heute im Urlaub zurück. Den Richter Sean aus dem US-amerikanischen Cleveland kennt in Ted’s Pub jeder. Mit einem gestickten Kleeblatt auf dem Jackett grüßt der joviale Mittsechziger alle per Handschlag. „Glaube niemals etwas, das Tom dir erzählt“, warnt der Mann aus Ohio lachend.

Humor und Feingeist

Tom, der ehemalige Betreiber von Ted’s, hatte ihm einmal genaustens dargelegt, wie er als Sicherheitsbeauftragter John F. Kennedy auf einer Irland-Reise begleitete. Dass der Pfeifenraucher mit schelmischem Blick damals nicht einmal volljährig gewesen sein konnte, tat dem keinen Abbruch. „Anderen Touristen hat er einmal glaubhaft versichert, während eines Jobs für eine Ölfirma, für mehrere Jahre in Ghana inhaftiert gewesen zu sein“, ergänzt Toms Sohn Colm grinsend.

Mit derselben Ironie empfiehlt der Drehbuchautor ein Denkmal für eine vor der Insel gesunkenen spanischen Armada. Von den fünf im Jahr 1588 gekenterten Schiffen „ist nichts übrig“, sagt der bärtige Mann. „Aber wir haben nicht so viele Denkmäler hier, also hat man halt eins hingestellt.“

Die schroffe Schönheit der irischen Küste, zerklüftete Felsen, kalter Wind, das stählerne Blau des Ozeans und das saftige Grün der Wiesen, aus denen wie kleine weiße Farbtupfer immer wieder Schafe herausstechen, lenken schnell ab von den verschwundenen Spaniern. Was zählt, ist das Jetzt und das gute Wetter. Da sonst „der Regen hier absolut, großartig und erschreckend“ ist (Böll), der perfekte Einstieg für ein Pubgespräch.