Käthe will los. Noch steht sie angebunden im Hof ihrer Menschenmutter Petra Landsberg, doch das Signal ist unmissverständlich. Ungeduldig stampft sie auf, um von uns, den neu eingetroffenen Tagesgästen, gestriegelt zu werden und die Hufe gesäubert zu bekommen. Das schafft Nähe und Vertrauen vor dem ersehnten Aufbruch. Was sie danach, bei der zehn Kilometer langen Wanderung in der Eifel erwartet, weiß Käthe allzu gut: eine satte Fresslandschaft aus Grün.
Bisher hat sie unterwegs noch jedem Begleiter, der sie am Strick führt, ihren Willen aufgezwungen, um sich kräftig den Bauch vollzuschlagen. Landsberg drückt das bei der Einführung so aus, bevor sie Tier und Mensch samt einer Portion Karotten und einer Wanderkarte sich selbst überlässt: „Esel haben ein etwas anderes Verständnis von Zeit und Wandern. Sie würden eigentlich erst weitergehen, wenn eine Wiese leergefressen ist. Da muss man Führungsqualitäten beweisen, sonst wird man vom Esel zum Affen gemacht.“ Das ist leichter gesagt als getan. Sollte jemand allzu harsch mit ihr umgehen, zieht Käthe alle Register aus dem Vorurteilskatalog gegenüber Grautieren. Launisch, dickköpfig, störrisch. Dann bleibt sie einfach stehen.
Mit dem Esel gegen die Reizüberflutung
Eselwandern, bei dem man übrigens nicht reitet, sondern das Tier am Strick führt, verzeichnet vielerorts einen Hype. „Die Leute wollen raus in die Natur, runterkommen, um den ganzen Lärm und die Reizüberflutung wegzukriegen“, so Landsberg. Überrascht hat sie bei ihren Kunden, „wie viele davon eselfanatisch sind und den Esel als Lieblingstier haben, weil er eben nicht so perfekt ist“.
Doch warum soll gerade ein Esel helfen, den Schalter auf den Abschalt-Modus umzulegen? Was haben Esel, was andere Tiere nicht haben? „Esel sind richtig menschensüchtig und strahlen eine unheimliche Ruhe aus“, so Landsberg, die weiter ausholt: „Mental ist man beim Eselwandern die ganze Zeit beim Esel. Da denkt man nicht darüber nach, ob man die Steuererklärung noch machen muss oder was man morgen kocht.“
Kurzer Zwischenruf beim Selbstversuch: stimmt – aber nicht ganz. Ich, meine Frau und die jüngere Tochter sind mit zwei Eseln aufgebrochen – der andere heißt Trude – und haben rasch gelernt, dass man nicht nur geistig bei den Langohren ist. Sondern auch körperlich. Und zwar in Dauerbereitschaft. Mal drängen sie plötzlich nach links, mal unerwartet nach rechts, um ihre Fressorgien zu feiern. Wir Zweibeiner sind gegen 200 Kilogramm Masse dann machtlos. Zur Not spornt eine Karotte zur Fortsetzung der Wanderung an. Landsberg nennt sie „Zauberkarotte, die Schokolade des Esels“.
Ein Schieben und Ziehen
Eselwanderer werden automatisch zu Eselverstehern, Eselbändigern, Eselantreibern. Nicht immer mit Erfolg. Ali, geführt von Wera Köhnke und Christian Ratovonony, die aus Berlin in die Eifel gereist sind, verharrt aus ungeklärten Gründen bereits in Sichtweite des Hofes mitten auf dem Waldweg.
Köhnke versucht, ihn von hinten ein wenig anzuschieben. Vorn zieht Ratovonony leicht am Strick, übt sich in gutem Zureden und findet „es gerade nicht so entspannend“. Das ändert nichts daran, dass er Esel ins Herz geschlossen hat. Ratovonony, der aus Madagaskar stammt, versichert glaubhaft, „noch nie einen Esel in natura gesehen“ zu haben. Deswegen ist er hier, ganz nah dran.
Irgendwann löst sich Alis Blockadehaltung in Wohlgefallen auf. „Wir dürfen nicht nur fragen, ob der Esel zu uns passt, sondern auch: Passen wir dem Esel?“, gibt die pensionierte Geografielehrerin Köhnke zu bedenken und redet von gegenseitigem Respekt.
Schmunzelnde Esel
Böse kann man den Eseln nicht sein, wenn sie auf den Wegen durch Wälder und Felder mal wieder auf stur schalten oder zu lockenden Versuchungen abdriften. Das Zermalmen von Halmen, Wiesenblumen und Farnen gerät zum vertrauten Begleitgeräusch und vermischt sich mit Vogelgezwitscher und dem Plätschern eines Bachlaufs. Ich werde das Gefühl nicht los, dass Trude und Käthe, die unzweifelhaft mit uns spielen, immerzu überlegen in sich hinein schmunzeln.
„Esel haben ihre eigene Meinung. Charakterlich könnten sich manche Menschen davon eine Scheibe abschneiden“, urteilt Manuela Bollendorf, die mit ihrem Mann Heinz und Esel Jupp unterwegs ist. „So ein Esel ist ein guter Therapeut, um bei sich selbst anzukommen“, sagt sie und schaut leicht befremdet ihren Mann an, als der hinzusetzt: „Eselwandern ist auch wie eine kleine Paartherapie zusammen.“ Heinz Bollendorf ist überdies froh über eine andere Art des Wanderns, frei von Rekordjagd und Gipfelstürmen: „Endlich ist man mal in einer erträglichen Geschwindigkeit unterwegs: ganz gemütlich, ohne zu schwitzen, nicht bergauf.“
Im Eseltempo den Alltagstrott vergessen
Der Hof liegt in Sicht. Knapp fünf Stunden haben wir für zehn Kilometer gebraucht. Trude und Käthe haben uns ihren Rhythmus aufgezwungen. Wir haben uns mit wachem Geist und – fast noch wichtiger – vollem Körpereinsatz auf die Esel konzentriert, was seine Folgen hat: ein Ziehen im Rücken und Muskelschmerz in den Armen.
Offen gesagt, da ist sich der Familienkreis einig: Wir haben es eher angespannt als entspannend empfunden, unsere Geduld haben die Tiere auf die Probe gestellt. Aber: Wie von Landsberg prognostiziert, haben wir weder an die Steuererklärung gedacht noch ans morgige Kochen. Im Eseltempo haben wir Alltagstrott und Eile vergessen.