Schon da? Gerade erst die U-Bahn am Flughafen betreten, schon steht man nach knappen 20 Minuten mitten im Herzen der 1,2-Millionen-Metropole Sofia. Und in deren jahrtausendealter Geschichte. Denn in der zentralen U-Bahnstation Serdica wandelt man zugleich auf Rolltreppen und höchst spektakulär durch Ruinen der gleichnamigen Römerstadt. Archäologie mit Öffi-Flair. Das antike steinerne Zeugnis – es kann sich hinsichtlich des historischen Gehalts und professioneller Aufmachung mit so manchem namhaften Ausgrabungskomplex dieser Welt messen – lädt zum spontanen Vertiefen ein.
Doch der Koffer will einchecken und liebäugelt bereits mit dem in Sichtweite posierenden Hotelportier des „Sofia Balkan Palace“. Spätestens in der vor marmorner bis goldener Noblesse erstrahlenden Lobby durchzuckt ein freudiges Wow die dem Luxus nicht abgeneigte und dennoch auf den Geldbeutel bedachten Reisenden – Sofia überrascht mit bescheidenen Preisen in höchsten touristischen Klassen. In diesem Fall ist große bulgarische Geschichte inklusive: Die Hotelikone der Luxusklasse wurde 1956 im eklektisch-klassischen Stil als ein Seitenteil des sozialistischen Machtzentrums von gewaltigem Ausmaß erbaut. Heute ist der Hotelgast nachbarschaftlich verbunden mit Ministerien oder dem Büro des Premierministers. Die kunsthistorische Skurrilität im Innenhof: Das 1700 Jahre alte Kult- und Gotteshaus Sveti Georgi, vom Kommunismus galant versteckt, indem einfach der Vierkanter drumherum gebaut wurde.
Von den Thrakern bis in die Gegenwart
Ein Nebeneinander spannender Gegensätze zeichnet das ganze Zentrum von Sofia aus: Die Spuren von 2500 Jahren Zivilisationsgeschichte von Thrakern, Römern, Byzantinern, Osmanen bis zu den heutigen Bulgaren sind gemütlich in Fußdistanz zu bewältigen. „Wir leben einen Steinwurf voneinander entfernt, aber wir bewerfen uns nicht mit Steinen“, lässt ein „Free Sofia“-Tourguide im Toleranzviertel wissen. Hier stehen die orthodoxe Kathedrale Sveta Nedelja, die Banja-Baschi-Moschee aus osmanischer Zeit und die jüdische Synagoge einträchtig beieinander.
Beim Freitagsgebet in der einzig verbliebenen Moschee der Stadt ist der Andrang der betenden Männer so groß, dass Hunderte auf dem Trottoir davor ihre Gebetsteppiche ausbreiten. Dem interessierten Zaungast auf der Straße wird am Ende auch das rituelle Fladenbrot gereicht. Man ist entspannt, tolerant und charmant. In der vom Wiener Architekten Friedrich Grünanger 1909 erbauten sephardischen Synagoge mag Demut aufkommen. Das größte jüdische Gotteshaus Südeuropas vereint venezianische, sezessionistische und maurische Original-Elemente in architektonischer Vollkommenheit. „Im Zweiten Weltkrieg schlug eine Bombe in den Tempel ein. Dass diese nicht explodierte, ist ein Wunder“, freut sich Esther, die das Museum in der Synagoge betreut.
Zwischen Kuppeln und Straßenkunst
Mit Pracht hat auch das Wahrzeichen der Stadt, die Alexander-Newski-Kathedrale als steinernes Dankeschön der bulgarischen Bevölkerung für die Befreiung von den Osmanen, aufzuwarten. Am besten genießt man den Postkartenblick auf ihre goldenen Kuppeln von einer nahen Rooftop-Bar aus, von denen es in der Stadt viele gibt. Und hat auch gleich den nahen Flohmarkt, der Touristen mit folkloristischen Einlagen erfreut, im Blick.
Sich so richtig unters Volk mischen und Bulgarien spüren, das lässt sich wunderbar auf dem Frauenmarkt mit mehr als 140 Jahre langer Tradition. Hier wird neben Lebensmitteln so ziemlich alles verkauft – zumeist von älteren Frauen, denen die Zeichen der Zeit, auch noch jene der kommunistischen Vergangenheit, ins Gesicht geschrieben sind.
Für Aufbruchsstimmung und pulsierendes Leben sorgt in Sofia die jüngere Generation mit einer beachtlichen Gastronomie- wie Kreativszene. Beim Flanieren durch die Straße Tsar Shishman, dem Hotspot der Street-Art-Szene voller bemalter Stromkästen, lassen Galerien bis Secondhandläden das Buntheit liebende Herz höherschlagen. Und manchmal ist eben auch von den Touristen Toleranz und Querdenken gefragt. Besonders dann, wenn die Sofioter den Kopf schütteln und damit ein Ja meinen, während sie mit einem Nicken ein Nein kommunizieren. Sofia geht eben seinen eigenen Weg. Und der ist nicht zu unterschätzen.
Regina Rauch-Krainer