Schon einmal vor einem Weizenfeld gestanden und in dessen Hintergrund den Eiffelturm gesichtet? Hier, nahe der rund 3000-Seelen-Gemeinde Roissy-en-France – ihr verdankt der drittgrößte Flughafen Europas den ersten Teil seines Namens – hat die pittoreske Landidylle dank kurzer Distanz zur Metropole Paris eine besondere Note. Die Region Grand Roissy ist Teil des Val d’Oise, es steht für mittelalterliche Dörfer, unendliche Wälder und Natur, die bereits impressionistische Maler von Monet bis Cézanne in den Bann zogen. Und das Land vor den Toren von Paris überwältigt obendrein mit imposantem Kulturerbe, hinter dem so manche spannende Persönlichkeit steckt.
Zarte 14 Jahre alt war König Ludwig IX., als er vor rund 800 Jahren gemeinsam mit seiner Mutter Blanche von Kastilien kein Schloss, sondern ein gewaltiges Zisterzienserkloster erbauen ließ. „Er war sehr fromm und wollte eigentlich selbst Mönch werden“, lässt Guide Roman über den späteren „Ludwig den Heiligen“ bei der Führung durch die königliche Abtei Royaumont wissen. Man ist von diesem Kraftort voller Schönheit sofort gefesselt. Der riesige restaurierte Komplex ist an Perfektion gotischer Meisterarchitektur kaum zu überbieten. Er lässt tief in die Geschichte des mittelalterlichen Mönchslebens blicken, vom Latrinenhaus bis zum überdimensionierten Kreuzgang und atemberaubenden Refektorium.
Und irgendwie glaubt man, den Geist des heiligen Bauherrn auch direkt zu erspüren. Die Ruinen der während der Französischen Revolution zerstörten Abteikirche sowie die im Stil des Mittelalters angelegten Gärten in der sieben Hektar großen, von Wasserkanälen durchzogenen, romantischen Parkanlage vollenden die Faszination. Man will einfach bleiben – und darf das auch. Seit Jahrzehnten ist Royaumont ein aktiver Ort kultureller Begegnungen. In den einstigen Mönchszellen wird hotelkonform übernachtet.
Teurere Bücher als Schlösser
Weniger Frömmigkeit, sondern gewaltiger Reichtum zeichnete den mächtigen Herzog Anne de Montmorency aus. Er soll Herr über rund 130 Schlösser gewesen sein. In seinem auf einem Hügel herrschaftlich thronenden Schloss Écouen, das er in der Blüte der Renaissance mithilfe genialer Handwerker des Königshofs erbauen ließ, scheint in jeder kleinsten Ritze sein legendärer Sinn für Kunst und Ästhetik zu stecken. Dass heute hier das französische Nationalmuseum der Renaissance spektakulär durch alle Aspekte der Epoche führt, mag wohl als Hommage auf den „Mann der Renaissance“ verstanden sein.
Auch das in der Nähe liegende Prachtschloss Chantilly hat seine Wurzeln beim Schlösserbauer Montmorency. Doch heute trägt es den Stempel des Herzogs von Aumale, eine ebenfalls mit Vermögen und höchstem Sinn für Kunst gesegnete Persönlichkeit. Nach fast gänzlicher Zerstörung während der Französischen Revolution baute er Ende des 19. Jahrhunderts das überwältigende Juwel im Stile des Historismus wieder auf.
Als Kunstliebhaber mag man sich den Weg nach Paris in den Louvre ersparen. Das schlosseigene, weltberühmte Condé Museum zeigt rund 800 Meisterwerke der klassischen Malerei, in der testamentarisch verfügten Originalhängung aus der Zeit des Kunstsammlers Aumele. Seiner „Bibliomanie“ – er ließ sich angeblich seine Bücher mehr kosten als den Schlossbau selbst – verdankt das Haus ein Juwel von einer Bibliothek. Pferdeliebhaber kommen bei unvergesslichen Vorführungen in der Manege der barocken Stallungen auf ihre Rechnung. Gartenliebhaber wollen aus der in Raffinesse und barocker Eleganz erblühenden Gartenanlage des „Sonnenkönig-Gartenarchitekten“ André Le Nôtre garantiert nicht mehr weichen.
Doch genug der Noblesse. Da wartet noch der beschauliche Flussstrand an der L’Oise im charmanten Städtchen L‘Isle-Adam. Kein Wunder, dass es der berühmte Schriftsteller Balzac zu seinem „irdischen Paradies“ kürte. Und da wären noch Julien und Thibaut, die auf ihrem bereits 100 Jahre alten Bauernhof innovative Biersorten brauen. Der Gerstensaft lässt sich hier in authentischer Landidylle genießen. Dass man eigentlich auch noch in die Olympiastadt Paris hineinfahren wollte, das hat man an der Stelle fast schon vergessen.
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Regina Rauch-Krainer