Die Kundschaft verlangte danach, die Kundschaft bekam geliefert. Seit das konventionelle Plastiksackerl über die vergangenen Jahre hinweg als Öko-Plage in Verruf geraten ist, ist es von den Supermarktkassen Stück für Stück verschwunden. Seit Jahresbeginn 2020 gilt in Österreich nun sogar ein Verkaufsverbot für Einwegplastiksackerl, nur noch Restbestände sind zu haben. Freilich müssen die Kunden die gekaufte Waren nicht mit bloßen Händen nach Hause tragen. Nein, statt der herkömmlichen Kunststoffsackerl, die an den Kassenbereichen eben noch täglich zu Tausenden und gratis ausgehändigt wurden, hängen dort jetzt in Massen kostenpflichtige Ersatzprodukte. Sie sind aus Papier, Maisstärke oder anderen alternativen Materialien gefertigt und haben in den meisten Fällen eines gemein: Sie tragen das Label „bio“, oft in Kombination mit einem eingängigen Öko-Spruch der jeweiligen Handelskette.
Bio statt Naturkollaps – ist der Anti-Plastik-Trend beim liebsten Einkaufs-Utensil der Österreicher tatsächlich zugunsten der Umwelt ausgegangen? Zur Beantwortung dieser Frage lohnt es sich, erst einmal die Größenverhältnisse zurechtzurücken: Insgesamt machen Plastikbeutel gerade einmal zwei Prozent am gesamten Plastikmüll aus. Der ungleich größere Anteil entfällt auf die unmittelbaren Verpackungen der Produkte. Ein Faktum freilich, das zwar die Größe des Gesamtproblems veranschaulicht, tatsächlich aber wenig über die Plage aussagt, die von den Sackerln selbst ausgeht. Also gilt bei diesen jetzt bio statt konventionell. Klingt auf jeden Fall nachhaltig – doch hier lauert schon das erste Problem. Denn es ist im Falle der Sackerl (anders als etwa bei Lebensmitteln) nirgends geregelt, welche Kriterien sie erfüllen müssen, um als „bio“ bezeichnet werden zu dürfen.
Was ist beim Sackerl bio?
Dem allgemeinen Verständnis nach sollte ein Bio-Sackerl zumindest aus natürlichen, nachwachsenden Rohstoffen gefertigt sein und nach seinem Gebrauch im Kompost rückstandslos verrotten. Doch in der Praxis erfüllen das die wenigsten dieser Beutel. So kann ein Bio-Sackerl zwar aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt aber dennoch unverrottbar sein, ebenso wie es umgekehrt aus erdölbasierten Materialien bestehen und trotzdem abbaubar sein kann. Nicht der Rohstoff ist nämlich entscheidend dafür, ob und wie sich ein Sackerl abbaut, sondern allein sein chemischer Aufbau. Zudem gilt: Auch wer bewusst zu einem Sackerl aus Bio-Stärke greift, bekommt unter Umständen einen sogenannten „Blend“ in die Hände, der neben der Stärke noch 30 bis 60 Prozent Erdölanteil enthält. Diese Produktionsweise ist der Stabilität des Materials zuträglich.
Für die meisten Bio-Sackerl im Handel gilt inzwischen zumindest, dass sie vollständig abbaubar sind, also am Ende ihrer Lebensdauer nicht zum gefürchteten Mikroplastik zerfallen. Das kann als Fortschritt zu früheren Zeiten gewertet werden. Einschränkend kommt hier allerdings die schon erwähnte Praxis ins Spiel. „Abbaubar bedeutet nicht automatisch kompostierbar“, sagt Lukas Kranzinger, Bereichsleiter für Abfallwirtschaft beim Österreichischen Wasser- und Abfallwirtschaftsverband (ÖWAV). Denn die Tatsache, dass ein Sackerl grundsätzlich abbaubar ist, bedeutet nicht, dass es im Kompost tatsächlich von selbst zerfällt. Ein derartiger Abbauprozess kann mitunter viele Jahre dauern, was solche Sackerl für eine Kompostierung unbrauchbar macht. Um wirklich als kompostierbar durchzugehen, muss ein Kunststoff die Ö-Normen 13432 oder 14995 erfüllen. „Das bedeutet, er muss im Kompost innerhalb von sechs Monaten zu mindestens 90 Prozent abgebaut sein. Übrig bleibt dann Wasser, Biomasse und CO2“, sagt Kranzinger. So verlangt es zumindest die Theorie. „Ob es tatsächlich immer so funktioniert, sei dahingestellt“, sagt der Experte.
Die ungeliebten Sackerl im Bio-Abfall
Denn in Wahrheit sind Bio-Sackerln im Bio-Abfall niemandem wirklich willkommen. Im eigenen Gartenkompost zerfallen die Beutel aus Stärke de facto kaum bis gar nicht und auch in industriellen Kompostieranlagen werden sie in aller Regel maschinell wieder herausgefischt und verbrannt. „Es gibt nämlich keinen Weg zu erkennen, ob es sich tatsächlich um ein kompostierbares Bio-Sackerl handelt oder um eines aus konventionellem Kunststoff“, sagt Kranzinger. „Die Sackerl müssen also wieder aussortiert werden, um die Qualität des Komposts sicherzustellen.“ Der Fachmann empfiehlt daher, auch Bio-Sackerl in die Restmülltonne zu entsorgen. Klingt im ersten Moment absurd, doch Tatsache ist eben: Letztlich landen sie immer dort, selbst wenn sie im guten Glauben zu Hause ins Bio-Küberl geworfen wurden und später wieder aussortiert werden müssen.
Damit verschwindet allerdings ein wichtiger, gerne ins Treffen geführter Vorteil der meisten Bio-Sackerl: Die Kompostierbarkeit mag zwar oft theoretisch gegeben sein, in der Praxis ist es damit aber nicht weit her. Theoretisch kompostierbar oder nicht: Der Weg der Sackerl führt letztlich zum Restmüll.
Fragwürdiger Fußabdruck
Bleibt die Frage: Verbrauchen Sackerl aus Bio-Kunststoff oder Papier wenigstens weniger Ressourcen in ihrer Herstellung? Auch das lässt sich nicht schlüssig belegen. So werden die Ausgangsmaterialien der biogenen Sackerl nicht selten aus Zuckerrohr gewonnen, das überwiegend in Brasilien wächst. Dort wird die Pflanze in Monokulturen und unter massivem Pestizideinsatz angebaut. Auch der Anbau von Kartoffeln und Mais zur Stärkegewinnung steht letztlich in Konkurrenz zur Lebensmittelproduktion. Bliebe noch das Papiersackerl. „Das benötigt in der Produktion aber sieben bis acht Mal so viel Energie wie ein konventionelles Plastiksackerl“, sagt Konsumentenschützerin Nunu Kaller. „Steigen jetzt alle auf Papiersackerl um, haben wir binnen kürzester Zeit ein neues Problem.“
Was also tun? Der Ausweg kann für Kaller nur darin liegen, den Umgang mit den Sackerln zu überdenken: „Mehrweg statt Einweg, das ist die Zukunft. Wer monatelang dasselbe Plastiksackerl verwendet, handelt jedenfalls sinnvoller als jemand, der für jeden Einkauf ein neues Papiersackerl kauft.“ Umsetzen ließe sich eine solche Mehrwegstrategie aber nur, wenn die Sackerl im Handel einen Mindestpreis bekommen, meint Kaller. „Genau diese Forderung setzt das österreichische Plastiksackerlverbot, das 2020 kommen soll, aber nicht um. So werden wir als Ersatz eine Flut an Papiersackerl bekommen und handeln uns damit die nächste Krise ein.“
Verhalten muss sich ändern
Fazit der Experten: Biologisch abbaubare Sackerl haben grundsätzlich den Vorteil, nicht als Quellen für neues Mikroplastik in die Welt gesetzt zu werden. Ressourcentechnisch aber sind sie den konventionellen Produkten nicht automatisch überlegen, schneiden oft sogar schlechter ab. Täglich neue Sackerl zu verwenden und sie nach einmaligem Gebrauch wieder zu entsorgen, geht damit auch bei besten Recyclingsystemen nicht als nachhaltig durch, egal aus welchem Material die Sackerl gefertigt wurden. Erst wenn sich dieses Verhalten ändert, kann die Krise um des Österreichers liebstes Einkaufs-Utensil überwunden werden.