Wenn Besucher in der Grabeskirche vor dem aus Marmor errichteten Bau stehen, stellen sich die meisten die Frage: „Ist das tatsächlich das Grab, in dem Jesus vor 2000 Jahren beigesetzt wurde?“ Menschen suchen in dem Land, in dem das Emmaus-Ereignis dreimal, die Entschlafung Mariens und selbst die Grablegung Jesu zweimal lokalisiert werden, nach Sicherheit. Die Frage ist also: Ist die Grabeskirche nun der historische Ort des Todes und der Auferstehung Jesu oder ist sie es nicht?
Mit letzter Sicherheit lässt sich das nicht sagen, denn es gibt keine Grabplatte, auf der der Name des hier Bestatteten eingraviert wäre. Aber eines ist gewiss: Das Gebiet wurde um die Zeitenwende als Friedhof verwendet. Davon zeugen auch heute noch Schiebegräber hinter der Kapelle der syrisch-orthodoxen Gemeinde.
Den wohl untrüglichsten Beweis, dass die heutige Grabeskirche der Ort der Kreuzigung und der Grablegung Jesu war, erbrachte der römische Kaiser Hadrian, der die Verehrungsstätte mit einem riesigen römischen Tempel überbauen ließ. Er, der die Juden im Zweiten Jüdischen Krieg von 132 bis 135 besiegt hatte, wollte die darunterliegenden Heiligtümer dem Vergessen anheimstellen. Nichts sollte mehr an die Juden in dieser Stadt erinnern, die das Römische Reich in zwei Kriegen insgesamt sieben Jahre lang herausgefordert hatten. Und natürlich unterschied Hadrian nicht zwischen Juden, die in den Synagogen beteten und Judenchristen, die in Jesus den Messias sahen. Juden waren für ihn Juden, und deren Spuren sollten in der Stadt verwischt werden. So auch Golgota und das Grab Jesu.
Es war die Kaiserin Helena, die im Jahr 326 den römischen Tempel entfernen ließ und fand, wonach sie gesucht hatte: die Stätte des Todes und der Auferstehung Jesu. Das bezeugt der Kirchenvater Eusebius – und Dan Bahat, ehemaliger Stadtarchäologe von Jerusalem, widerspricht ihm nicht. Bahat räumt zwar ein, dass es keine eindeutigen Beweise gäbe, aber es gäbe auch keine andere Stätte, die einen stärkeren Anspruch geltend machen könnte. „Wir haben keinen Grund, die Authentizität dieser Stätte zu bezweifeln.“
In diesem Grab lag Jesus. An diesem Tag der Grabesruhe, den wir heute als Karsamstag bezeichnen, machte sich auch unter seinen Jüngern Zweifel breit. Denn ein im Grab liegender Messias hatte ihre Hoffnungen zunichtegemacht. Sollten sie sich in dem Wanderprediger also getäuscht haben? Es tauchten noch weitere Fragen auf, über die sie im Trubel der Ereignisse seit Donnerstagabend gar nicht nachgedacht hatten.
Warum musste Jesus sterben?
Tatsächlich war es seit dem Pessachmahl Schlag auf Schlag gegangen. Unmittelbar nach dem Seder-Mahl hatten sie die Stadt verlassen und waren nach Getsemani gegangen. Dort hatte Jesus noch gebetet: „Mein Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber. Aber nicht, wie ich will, sondern wie du willst.“ Danach war er verhaftet worden und zuerst zum ehemaligen Hohepriester Hannas, dann zu dessen Schwiegersohn Kajaphas geführt worden. Beide hatten versucht herauszufinden, wessen man den Mann aus Nazareth beschuldigen konnte, um beim römischen Statthalter ein Todesurteil zu erwirken.
Früh am Freitagmorgen war Jesus dann in den Palast des Herodes gebracht worden, wo er Pontius Pilatus vorgeführt wurde. Dieser hatte zunächst verhandelt, dann Jesus geißeln lassen, um ihn schließlich durch die engen Gassen der Stadt, begafft und verhöhnt von den Massen, zur Richtstätte außerhalb der Mauern zu bringen. Dort war er um dritte Stunde ans Kreuz genagelt worden und nach furchtbaren sechs Stunden des Todeskampfes gab er „seinen Geist auf“. Das war „um die neunte Stunde“, also um 15.00 Uhr.
Nicht einmal 20 Stunden waren seit der Verhaftung vergangen. Stunden, in denen die Jünger nicht zur Ruhe gekommen waren. Aber jetzt, da Jesus im Grab lag, drängten sich ihnen viele Fragen auf. Etwa jene, nach dem Warum. Warum wollten einflussreiche Kreise in Jerusalem den Wanderprediger aus Galiläa unbedingt ans Kreuz genagelt sehen?
Bei näherer Betrachtung gab es einige Gründe. Sicher zählten seine kritischen Äußerungen über den Tempel dazu, den er als „von Menschenhand“ gemacht anprangerte. Die Brisanz der Äußerung wird deutlich, wenn man den Propheten Jesaja liest, der Götzenbilder mehrfach „als von Händen gemacht“ und als wirkungslos ansah. Jesus stellt diesem zentralen Ort des Opfers und der Sühne einen Gott der Barmherzigkeit und Menschenfreundlichkeit gegenüber, der dieser Rituale nicht bedarf. Dies war keine grundlegende Kritik am Tempel, sondern eine an den Pharisäern und Sadduzäern, die den Tempel zu ihrem Lebensmittelpunkt gemacht und daran gutes Geld verdient hatten.
Jesus kritisierte diese Einkommensquelle und nahm deshalb die „Tempelreinigung“ vor. „Im Tempel fand er die Verkäufer von Rindern, Schafen und Tauben und die Geldwechsler, die dort saßen. Er machte eine Geißel aus Stricken und trieb sie alle aus dem Tempel hinaus samt den Schafen und Rindern; das Geld der Wechsler schüttete er aus und ihre Tische stieß er um und zu den Taubenhändlern sagte er: Schafft das hier weg, macht das Haus meines Vaters nicht zu einer Markthalle.“ So berichtet es der Evangelist Johannes (2, 13 ff).
Aufgabe der Geldwechsler war es, die römischen Münzen, die das Abbild des Kaisers zeigten und nach dem Abbildungsverbot der Juden rituell für den heiligen Tempel nicht koscher waren, in „sauberes Geld“ zu wechseln. Und zwar in jenen Schekel, der in der Stadt Tyros geprägt worden war. Aber auch diese Münze zierte ein Bild. Nämlich jenes des Gottes Melkart, der Eigenschaften des Gottes Baal verkörperte. Gegen Baal war der Prophet Elias aber bereits 900 Jahre zuvor aufgetreten. Die Erklärung, warum das Bildnis des Kaisers nicht, wohl aber jenes eines Götzen von den Herren am Tempel akzeptiert wurde: Die Münze aus Tyros hatte einen Silbergehalt von 94 Prozent und war daher inflationssicher. Diese verlogene Doppelmoral, aber auch die Geldgier der Tempelherren deckte Jesus schonungslos auf. Denn in ihren Händen lag das profitable Wechselgeschäft.
Am Karsamstag vergegenwärtigen sich Christen – wie auch an allen anderen Tagen der Heiligen Woche – die Heilsgeschichte Gottes an den Menschen. In der Grabeskirche in Jerusalem wird diese für Besucher unmittelbar erfahrbar. Nach allen archäologischen und historischen Befunden ist diese Kirche der verehrungswürdige Ort des Leidens, des Todes und der Auferstehung Christi.