Am Rande der Stadt Nablus im Westjordanland erhebt sich der Berg Garizim. Auf der 881 Meter hohen Anhöhe liegt das Dorf Kiryat Luza, das von einigen Hundert Samaritanern bewohnt wird. Einmal im Jahr feiern auch sie Pessach, wie es die Juden tun, aber zu einem anderen Datum, denn sie haben ihren eigenen Kalender. Überhaupt setzen sie sich vom Judentum stark ab: Ihnen sind nur die fünf Bücher Mose als Gottes geoffenbartes Wort heilig, alle anderen Schriften des Tanach (Altes Testament) lehnen sie ab. Als „Shomronim“ („Bewahrer“) – so nennen sie sich selbst – halten sie sich für die Erben des „wahren Israel“. Ihre Begründung: Sie seien seit den Zeiten Mose, als Gott ihnen das Land „auf ewig“ übergeben habe, hier wohnhaft geblieben. Die Bewohner des Südreichs seien hingegen ins babylonische Exil verschleppt worden.

Am Rand dieses samaritanischen Dorfes liegt ein umzäuntes Areal mit einer aufsteigenden Tribüne. Dort feiern die Samaritaner ihr Pessach. Am Abend versammeln sich Männer und Frauen in weißen Roben auf dem Festplatz, nur der Hohepriester im Rollstuhl trägt Grün. Die jungen Männer führen einjährige, männliche Schafe, die absolut makellos sein müssen, mit sich. Damit die Tiere ruhig bleiben und in dem Gewühl von Menschen nicht panisch werden, wurde ihnen zuvor mit einem Holzknüppel ein Schlag ins Genick versetzt. „Wie ein Lamm, das man zum Schlachten führt, und wie ein Schaf vor seinen Scherern, so tat auch er seinen Mund nicht auf.“ So beschreibt der Prophet Jesaja (53, 7) die Situation, die von Christen auch auf den Prozess Jesu hin interpretiert wird.

Den Opferplatz durchzieht eine Rinne, an der sich die jungen Männer aufstellen. Die Schafe klemmen sie sich zwischen ihre Beine. In der Rechten hält jeder ein scharfes Messer. Auf Geheiß des Hohepriesters hin schächten sie die Tiere. Kaum ein Laut ist zu vernehmen, so rasch tritt der Tod der etwa 30 Lämmer ein. Das Blut rinnt in die Erde, mit ein wenig davon benetzt jeder Samaritaner seine Stirn.

Gedenken an den Auszug Israels aus Ägypten

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Das geschieht in Rückbesinnung auf das allererste Pessach, das die Israeliten unter Mose in Ägypten feierten. Damals befahl Gott seinem Volk, ein Lamm zu schlachten und mit dessen Blut die Türpfosten der Häuser zu bestreichen: „Das Blut an den Häusern, in denen ihr wohnt, soll ein Zeichen zu eurem Schutz sein. Wenn ich das Blut sehe, werde ich an euch vorübergehen und das vernichtende Unheil wird euch nicht treffen, wenn ich in Ägypten dreinschlage. Diesen Tag sollt ihr als Gedenktag begehen. Feiert ihn als Fest zur Ehre des Herrn“ (Exodus 12, 13 ff).

So feierten die Israeliten um etwa 1250 vor Christus, so feiern die Samaritaner bis heute. Und auch die Juden begehen die Befreiung aus der Knechtschaft Ägyptens festlich, auch wenn sie dies seit der Zerstörung des Tempels im Jahre 70 nach Christus nicht mehr mit Schlachttieren, sondern unblutig tun. Und so feierte auch Jesus mit seinen Jüngern.

Das Pessachmahl ist auch heute noch ein Festmahl. Als erster Gang werden neben den ungesäuerten Broten, sogenannten Mazzen, bittere Kräuter gereicht. Kren, Radieschen, Lauch sollen an die bittere Zeit der Israeliten in Ägypten erinnern. Ein Brei aus klein gehackten Mandeln, Äpfeln, Rosinen und Zimt, der so lange mit Wein abgerührt wird, bis ein brauner, zähflüssiger Brei entsteht, ruft die Erinnerung daran wach, dass die Ägypter den Israeliten „das Leben durch harte Arbeit mit Lehm und Ziegeln“ schwer gemacht hatten. Dazu wird der erste Becher Wein gereicht. Lukas (22, 17) hält diese Szene fest, wenn er berichtet: „Und er nahm einen Kelch, sprach das Dankgebet und sagte: Nehmt diesen und teilt ihn untereinander.“ Danach nahm Jesus die ungesäuerten Brote und sprach den Lobpreis: „Gepriesen seist du, Herr, unser Gott, König der Welt, der Brot aus der Erde hervorgehen lässt.“ Dann brach er das Brot und reichte es seinen Jüngern. Den Segensworten aber fügte Jesus noch den Satz hinzu: „Nehmt, das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird. Tut dies zu meinem Gedächtnis.“ Damit war das Sakrament der Eucharistie eingesetzt.

Das verstörende Wort Jesu, dass die trockenen Mazzen plötzlich „sein Leib“ und der gereichte Wein „sein Blut“ sein sollten, bleibt in den Evangelien ohne Erklärung und wird von den Jüngern nicht hinterfragt. Dabei war den Juden jeder Blutgenuss strengstens untersagt. Die Vorstellung, den Leib eines Menschen zu essen und dessen Blut zu trinken, war ihnen ein Gräuel. Tatsächlich geht es bei diesem Wort Jesu nicht um eine Primitividentifikation. Peter Trummer, emeritierter Professor für neutestamentliche Bibelwissenschaften in Graz, stellt dazu fest: „Wir essen nicht Gott!“ Und der Wiener Alttestamentler und Orientalist Karl Jaros ergänzt: „Jesus hat kaum gemeint, dass er mit dem Brot, das er den Jüngern gibt, so identisch ist, als würde er einen Biss spüren, wenn die Jünger das Brot essen.“ Man mag über diese Vorstellung schmunzeln, aber so weit hergeholt ist sie nicht. In den 1960er-Jahren wurde Kindern im Vorbereitungsunterricht zur Erstkommunion noch eingebläut, man dürfe eine Hostie nicht zerbeißen, um Jesus keine Schmerzen zuzufügen.

Mystische Verbindung mit Jesus, dem Meister

Wie aber sind die Einsetzungsworte beim Pessachmahl gemeint? Wie ist die Metaphorik „Ich bin das Brot des Lebens!“ (Joh 6, 35) zu verstehen? Karl Jaros meint in Hinblick auf das Letzte Abendmahl: „Wie sich der das Pessachmahl feiernde Israelit als einer sah, an dem das Wunder des Exodus hier und jetzt geschah, so sollen sich die Jünger Jesu zusätzlich als solche sehen, die sich in mystischer Weise mit ihrem Meister verbinden.“ Und Peter Trummer erklärt weiterführend zur Messe: „Nicht Fleisch und Blut Jesu sollen dabei kultisch genossen werden, sondern das gastfreundliche Miteinander über alle nur erdenklichen Grenzen hinweg macht Jesus – zwar in einer geistlichen Weise – innerhalb der gelebten Gemeinschaft auch leibhaftig präsent. Seine Anwesenheit muss nicht erdacht oder herbeiargumentiert werden, sie wird als neu entstehende Qualität der Gemeinschaft verspürt und real erlebt.“

Brot einmal ganz profan gedacht: Es ist ein wunderbares Lebensmittel. Das einzige, von dem man sich nicht abessen kann. Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber drückt seine Wertschätzung einem geliebten Menschen gegenüber mit dem Vergleich aus: „Du bist gut wie Brot.“