30 Silberlinge, so steht es im Evangelium des Matthäus (27, 3 ff.), habe Judas für den Verrat an Jesus erhalten. War dies viel? War Judas also geschäftstüchtig? Oder war dies wenig? Hat er einen billigen Verrat betrieben? Der Gegenwert dieser Summe ist umstritten und tatsächlich findet man bei einigen Historikern Belege dafür, dass sich Judas dafür bloß einen Esel hätte kaufen können. Andere hingegen behaupten, dass dieser Betrag – an heutigen Maßstäben gemessen – dem Wert eines Kleinwagens entsprochen habe.

Egal ob Esel oder vielleicht doch deutlich mehr – die Frage ist obsolet, weil es dem Evangelisten nicht um einen Wert an sich ging, sondern um die Rückbindung an die Schriften des Tanach, des Alten Testaments. Dort heißt es beim Propheten Sacharja (11, 12–13): „Ich sagte zu ihnen: Wenn es recht ist in euren Augen, so bringt mir meinen Lohn, wenn aber nicht, so lasst es! Da wogen sie mir meinen Lohn ab, dreißig Silberstücke. Da sagte der HERR zu mir: Wirf ihn dem Schmelzer hin, den wertvollen Preis, den ich ihnen wert bin. Und ich nahm die dreißig Silberstücke und warf sie im Haus des Herrn dem Schmelzer hin.“ Auch Judas wird später seinen Lohn in den Tempel werfen.

Mit dieser Textstelle aus dem Jahr 520 vor Christus wird beklagt, dass die Israeliten Gott missachteten. Zugleich werden die Amtsträger am Tempel beschuldigt, ihr Amt zu missbrauchen und die Masse verarmter Menschen wie „Schlachtschafe“ an skrupellose Reiche zu verkaufen. Der Evangelist Matthäus, dessen Leserschaft jüdisch war, wollte mit dieser und vielen weiteren Anspielungen auf die hebräische Bibel belegen: Jesus sei der Erbe Abrahams, der verheißene Messias Israels. Da die Juden Jesus nicht als Messias anerkannt hätten, sei nun die frühe Kirche an die Stelle des Judentums getreten. Israel sei fortan das alte, von Gott verlassene Volk, das Christentum trete an seine Stelle. Daraus entsteht eine antijüdische Tendenz. Schon beim Evangelisten Johannes, der seinen Text um 110 nach Christus verfasste, ist eine solche erkennbar, wenn es dort – und ausschließlich in diesem einen Evangelium – heißt: Judas war ein Dieb, er hatte die Kasse veruntreut.

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Was von der Judas-Geschichte bleibt, ist zunächst einmal seine Geldgier. Diese wird über die Namensähnlichkeit „Judas – Jude“ über die Jahrhunderte dem gesamten Volk der Juden zugeschrieben.Und es bleibt der Verrat. Amos Oz, einer der bekanntesten Literaten Israels, lässt in seinem Roman „Judas“ aus dem Jahr 2014 eine Hauptperson sagen: „In allen Sprachen, die ich kenne, und auch in denen, die ich nicht kenne, wurde Judas zu einem Synonym für Verräter.“ Das ist für die abendländische Literatur ebenso belegbar wie für die Malerei: So sitzt Judas auch beim „Letzten Abendmahl“ von Leonardo da Vinci (1497) abseits. Er hat als Einziger rotes Haar und eine Hakennase, obwohl alle dargestellten Personen, Jesus eingeschlossen, Juden sind. Sein Blick ist von Verschlagenheit und Abschätzigkeit geprägt. Die Botschaft ist einfach: Judas steht für Verrat, Untreue, Denunziation und Überläufertum.

Für Christen die personifizierte Niedertracht

Judas wird aus christlicher Sicht zur Personifikation der Niedertracht, es gibt niemanden, der böser wäre als er – und mit ihm das gesamte Volk der Juden. Abgründige Fantasien wurden auf diese Gestalt projiziert. Obwohl es im Matthäus-Evangelium (27, 5) heißt, Judas habe sich erhängt, schildert Bischof Papias von Hierapolis dessen Tod schon um das Jahr 130 besonders abstoßend: „Als hervorragendes Beispiel von Gottlosigkeit wandelte Judas in dieser Welt. (...) Es gingen aus dem ganzen Körper Eiterteile und Würmer ab. (...) Als er dann nach vielen Qualen und Strafen an privatem Orte gestorben war, ist der Ort von dem Geruch bis jetzt unbewohnt gewesen; ja es kann bis zum heutigen Tag keiner an der Stelle vorübergehen, ohne sich die Nase mit den Händen zuzuhalten.“

Die Theologen sind sich uneinig

Auch wenn die Rolle des Mannes aus Iskariot klar scheint, so bleiben doch einige theologische Fragen offen: War Judas als „Verräter“ vorherbestimmt? Wenn dem so wäre, dann würde das bedeuten, dass er eine Marionette Gottes war, die keine eigenen Entscheidungen fällen konnte. Die Theologen sind sich in der Beurteilung der Rolle des Judas uneinig: War er ein schändlicher Verräter oder ein tragischer Vollstrecker?
Wenn Judas Jesus wirklich verraten hätte, dann wäre Jesus ein passives Opfer – ein Opfer des Judas. Damit wurde lange Zeit eine theologische Vorstellung geschaffen, dass Jesus nur wegen des Verrats durch Judas den Kreuzestod habe erleiden müssen. Diese Anschauung gilt theologisch als überholt. Die katholischen, deutschsprachigen Bischofskonferenzen tragen dieser Sichtweise in der Neuübersetzung der Bibel aus dem Jahre 2016 Rechnung, wenn sie im Johannesevangelium (18, 2) formulieren: „Auch Judas, der ihn auslieferte, kannte den Ort.“ In der Einheitsübersetzung aus dem Jahr 1980 hieß derselbe Vers noch: „Auch Judas, der Verräter, der ihn auslieferte, kannte den Ort.“ Jesus aber ging – daran zweifeln Theologen heute nicht – freiwillig in den Tod. Es brauchte niemanden, der ihn verriet. Das macht Judas in der Heilsgeschichte eigentlich überflüssig.

Jesus führt im letzten Akt seines Lebens selbst Regie. Der Text der Gefangennahme im Johannesevangelium (18, 1) zeigt ihn selbstbewusst. Er tritt seinen Peinigern erhobenen Hauptes entgegen. Peter Trummer, emeritierter Professor für neutestamentliche Bibelwissenschaften an der Universität Graz, versetzt sich in seinem 2018 bei Herder erschienenen Buch „Ich bin das Licht der Welt“ in die Situation am Garten Getsemani: „Jesus braucht keine Waffen oder taktierende Gegengewalt, er tritt den Soldaten mit dem ganzen Gewicht seiner Person und seines Seins gegenüber. Sein ,Ich bin es‘ ist nicht das philosophische Ergebnis selbstreflexiven Denkens, sondern der Ausdruck seines Urvertrauens in Gott, den er seinen Vater nennen und von dem er sich in jeder Situation gehalten wissen darf.“

Jesus ging freiwillig in den Tod am Kreuz. Es ist dies der letzte Akt in der Auseinandersetzung zwischen seinen jüdischen Gegnern und ihm. Die einen wollten beweisen, dass er einem falschen Gottesbild anhänge, Jesus hingegen war davon überzeugt, dass er Gottes Sohn sei.
Und der Kuss? Er ist seit Alters her Symbol des Todes. Schon über das Ende des Mose steht geschrieben: „Da küsste ihn der Heilige und nahm seine Seele durch den Kuss des Mundes weg.“ Der Judaskuss kündigt symbolisch den nahen Tod Jesu an.