Rund 80 Prozent der berufstätigen Frauen sind laut aktuellen Erhebungen von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz betroffen. "Die Dunkelziffer dürfte aber weit größer sein", sagt dazu Bernadette Pöcheim, die die Abteilung für Frauen und Gleichstellung in der Arbeiterkammer Steiermark leitet. "Und noch immer handelt es sich dabei um ein Tabuthema und nach Ansicht vieler Männer um ein ,Kavaliersdelikt'", fügt sie hinzu. Trotz der medialen Aufmerksamkeit, die das Thema derzeit durch Arbeitgeber wie Wolfgang Fellner hat.

Häufig wird das Thema als "Milieu-Geschichte" heruntergespielt, Pöcheim weiß aber aus der Beratungspraxis: "Es betrifft alle Schichten und Branchen: Arbeiter, Akademiker und Geschäftsführer - bis hin zu Ärzten, die mit geöffneter Hose hinter der Sprechstundenhilfe stehen."

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Das Problem beginnt jedenfalls schon weit vor diversen Grapschereien, wenn Frauen etwa als "Haserl", "Mauserl" oder "Schatzi" angesprochen werden oder in ihrer Gegenwart ständig anzügliche Bemerkungen gemacht werden. Durch die digitalen Medien sind Belästigungen noch leichter und häufiger geworden, wie die AK-Expertin betont. "Wir merken, dass es manchmal ganz langsam anfängt und sich dann verstärkt." Hier komme es darauf an, gleich von Anfang an Grenzen zu ziehen. Pöcheim: "Von der Frau muss ganz klar kommuniziert werden, dass etwa Essenseinladungen nicht gewünscht sind, eine gewisse körperliche Distanz einzuhalten ist und es nicht geht, dass ,so geredet wird'."

Hilfreich könnte es sein, ganz bewusst zurückzutreten, den Abstand zum Gegenüber zu vergrößern oder den Raum zu verlassen, wenn eindeutig zweideutige Witze gemacht werden. "Ganz jungen Frauen fehlt hier aber leider oft das Selbstbewusstsein." Und sexuelle Belästigung sei immer eine Machtgeschichte. "Sexuelle Belästigung hat immer etwas mit Über- und Unterordnung zu tun. Deshalb trifft sie besonders häufig Lehrlinge und Praktikantinnen bzw. Frauen in unsicheren Arbeitsverhältnissen."

Was nicht verschwiegen werden darf: Kommt es zu einem Verfahren wegen sexueller Belästigung, ist es meist das Opfer, das letztlich seinen Arbeitsplatz verliert, weil der Täter als Vorgesetzter in der stärkeren Position ist. Dabei ist der Arbeitgeber im Rahmen seiner Fürsorgepflicht gegenüber den Arbeitnehmern rechtlich verpflichtet, sexuelle Belästigung abzustellen, sobald er Kenntnis davon erlangt. Wie hoch der Schadenersatz sein kann? "Das hängt von Dauer und Intensität der Belästigung sowie vom Abhängigkeitsverhältnis ab: Bei einem Lehrling würde die  Ausnutzung der Vorgesetztenfunktion für eine Klage sprechen", erklärt Pöcheim. Der Mindestschadenersatz beträgt bei einer sexuellen Belästigung jedenfalls 1000 Euro.

Als konkretes Beispiel für einen Prozess um Schadenersatz nennt Pöcheim den Fall einer Reinigungskraft, die ihren Job eigentlich behalten wollte, allerdings die sexuelle Belästigung durch einen Arbeitskollegen unerträglich fand. Als sie sich mit dem Problem an den Geschäftsführer der Firma wandte, meinte dieser aber nur: "Das müsst ihr unter euch ausmachen." Bis der Leidensdruck der Frau so hoch war, dass sie kündigte. "In diesem Fall haben wir den Belästiger und den Arbeitgeber vor dem Arbeits- und Sozialgericht auf Schadenersatz geklagt, weil dieser im Rahmen der Fürsorgepflicht verpflichtet gewesen wäre, Abhilfe zu schaffen", sagt Pöcheim. Langer Rede kurzer Sinn: Die Reinigungskraft bekam vom Arbeitgeber etwa 3000 Euro an Schadenersatz und vom Belästiger 2000 Euro. Das sind freilich keine Riesensummen, wenn gleichzeitig das Dienstverhältnis aufgelöst wird.

Ein Gerichtsverfahren kann freilich immer nur der letzte Ausweg sein. "Bei Gericht verlieren letztlich immer beide Parteien", gibt Pöcheim zu bedenken. Umso wichtiger sei die Prävention seitens des Unternehmens. "Firmen müssen ganz klar einen Kodex entwickeln, in dem klar formuliert ist, welche Verhaltensweisen in der Firma erwünscht bzw. nicht erwünscht sind - angefangen bei einem Verbot von Pin-ups an Wänden oder im Spint bis hin zum Sprachverhalten, auch im Pausenraum." Teilweise gebe es in Firmen bereits entsprechende Beilagen zum Dienstvertrag, die zu Beginn des Arbeitsverhältnisses zu unterschreiben sind.

Das Prozedere

Welche Maßnahmen in welcher Reihenfolge Frauen bei Übergriffigkeiten am Arbeitsplatz anzuraten sind, hängt freilich immer davon ab, was ist Einzelfall genau geschehen ist. Bei Belästigungen, die erstmals und auch nur sprachlich stattfinden, lohne es sich jedenfalls den Ball gewissermaßen flach zu halten, also dem Belästiger klar zu sagen: "Wenn das noch einmal vorkommt, werde ich es melden." Hilfreich könne in dieser Situation auch die Intervention des Betriebsrates - im besten Fall eine Frau - sein. Teilweise gebe es in den Firmen auch Ansprechpersonen in der Personalabteilung, die ein formales Verfahren einleiten, um die sexuelle Belästigung abzustellen. Betroffene müssen aber wissen: "Je weiter hinauf man geht in den Instanzen, umso schwieriger wird es für beide Seiten." Soll heißen: Ist noch nichts Massives vorgefallen, sollte das Ziel eine Entschuldigung des Belästigers sein, die das Problem im Idealfall dann auch aus dem Wege schafft."

Bei hartnäckigen Fällen kommt es dann allerdings auf eine möglichst genaue Dokumentation aller Vorfälle (mit der Auflistung potenzieller Zeugen) an. "Dass man einschlägige Mails und Whats App-Nachrichten aufbewahren sollte, versteht sich von selbst", sagt Pöcheim.

Alle sollen es wissen?

Mit vorschnellen, der nachvollziehbaren Empörung geschuldeten öffentlichen Anprangerungen von sexuellen Übergriffen etwa per Mail an die ganze Belegschaft, sind Frauen nicht gut beraten. Pöcheim: "Datenschutz, Ehrenbeleidigung, üble Nachrede, Verleumdung - es passiert immer wieder, dass der Täter gewissermaßen zurückschießt und das für die Frauen schlecht ausgeht. Solche Dinge gehören sachlich abgehandelt."